Für Fotografierende ist die „goldene Stunde“ die Zeit rund um Sonnenauf- oder ‑untergang, die so ein sanftes Licht zu bieten hat, in dem alles ein klein wenig weicher und freundlicher wirkt. Und so ist der Oktober quasi die „goldene Stunde“ des Jahres, die Zeit bevor dann alles wieder in Dunkelheit versinkt, in Nebel, „Normalzeit“ und – horribile dictu – gar in Schnee. Noch ist es auch eine Stunde länger hell und so zahlt es sich noch aus richtige Touren zu unternehmen, z.B. noch einmal an den Neusiedler See und nach Sopron, das jetzt ja auch wieder ohne Umsteigen per Zug erreichbar ist.
Die Felder sind grossteils abgeerntet und trocken, und auch der 2023er gärt schon im Stahltank oder stürmt gewaltig beim mobilen Heurigen am Neusiedlersee-Radweg in einer Dopplerflasche. Dort gibt es auch andere Zustände des Traubensaftes in verschiedenen Stufen von Alkoholgehalt, von Saft über Sturm bis zum fertigen Wein, gerne auch gespritzt. Man hat auch Verjus, den Saft der noch grünen Trauben, der sich ausgezeichnet in Soda macht. Irgendein Influencer mit Einfluss sollte das endlich zum Trendgetränk erklären. Wir sind da nämlich ganz eigennützig: je mehr Verjus es gibt, desto leichter kriegt man das Zeug irgendwo zu kaufen. Jetzt im Herbst ist es auch kein Nachteil mehr, dass dieser Heurige kaum Schatten zu bieten hat, denn heute sitzen alle freiwillig auf wackligen Spaghetti-Sesseln in der Sonne. Dabei ist es allerdings hilfreich, dass hier gleichsam alle in Radhosen kommen, denn ohne die hält man es auf diesem Möbel nicht lange aus. Für die Kinder, die sowieso auf keinem Möbel lange sitzen können, gibt es einen schön lackierten alten Steyr-Traktor zum Rumkraxeln und Hose dreckig machen.
Bis kurz vor Sopron ist es in kurzen Hosen noch angenehm zu fahren, doch auf den letzten Kilometern wird es dann doch frisch. Die Sonne verzieht sich hinter die Bäume, dann hinter die Hügel und während wir im Zug nach Wien sitzen, gibt es dann noch so einen richtig kitschigen orange-rosa Sonnenuntergang über dem Schneeberg, den natürlich niemand fotografiert hat, weil so ein Foto wird aus dem Zugfenster eh nicht so toll.
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