Bei grossen Radrennen kann es vorkommen, dass die Begeisterung das Publikum dazu verleitet auf die Strassen zu laufen und die Athleten im Rennen zu behindern. Eigentlich wollen sie ja nur anfeuern, aber manchmal wirkt die verbleibende Fahrgasse doch recht schmal. Das dann auf einer der berüchtigten Steigungen, ich stelle es mir recht ungemütlich vor. Wir Hobbetten geben es heute ein wenig kleiner. Nicht nur sind unsere Steigungen weder der Galibier noch der Ventoux, wir klettern nur etwa 100 Höhenmeter die Hänge des Thayatales hinauf, auch unsere Quälgeister sind deutlich kleiner. Wir haben es mit einem Schwarm Mücken zu tun, der es sich abwechselnd in unserem Windschatten gemütlich macht und versucht auf unseren Brillengläsern (ausgerechnet!) nach oben zu reiten. Fluchen und sogar Drohungen mit dem Verschlucken wollen sie nicht hören, erst als wir wieder ein flacheres Stück erreichen und Tempo gewinnen können, müssen sie abreissen lassen.
Nach dem gestrigen Horner Vorgeschmack auf das Waldviertel geht es heute in einem weiten Bogen über Raabs nach Znojmo. Der erste Teil ist noch eher unspektakulär im Taffatal, wobei unspektakulär nur relativ gemeint ist, denn gegen die zweite Hälfte der Tour kann ein sanft bergauf ansteigendes Tal mit bewaldeten Hängen halt leider nicht ankommen. Auch der Radweg auf der alten Trasse der ehemaligen Bahn von Göpfritz nach Raabs ist sehr nett zu fahren, auch wenn wir uns bei der Benutzung dieser Art von Bahnradwegen auf erst in jüngerer Zeit eingestellten niederösterreichischen „Nebenbahnen“ immer ein wenig vorkommen wir Leichenfledderer. Der beeindruckende Teil beginnt für uns in Raabs, nicht der ersten der irgendwo hoch oben errichteten Burgen, an denen wir heute vorbeikommen, aber für unsere nördlichen Nachbarn ist sie im Mittelalter so wichtig gewesen, dass heute ganz Österreich im Tschechischen nach dieser Burg benannt wird (Rakousko) und nicht wie sonst üblich irgendwas mit ‚Austria‘. Aber liebe Nachbarn dürfen uns gerne auch komische Namen geben.
Die Nachbarn durften in den 30er Jahren bei Vranov nad Dyjí auch die Thaya auf einer Strecke von 25 Kilometern aufstauen. Sie hätten ja schon 20 Jahre früher gedurft und damit die extremen Schwankungen, die die Thaya im Jahresverlauf in ihrem Wasserstand aufweist, ausgleichen und zugleich Strom gewinnen. Aber dann kam der Erste Weltkrieg, dann die Teilung Kakaniens mit ihren politischen Verwerfungen, die Weltwirtschaftskrise etc. und so hatte das Projekt schon beim Start einen ordentlichen Verzug. Dann aber hat man in wenigen Jahren eine Talsperre aus massivem (und sehr massiv aussehendem) Beton errichtet, dabei aber das geplante Budget ordentlich überzogen und sich nach Abschluss der Bauarbeiten in die juristische Projektphase begeben. Die Vorwürfe von damals interessieren das Freizeitvolk am Stausee heute aber wohl kaum noch. Es fahren Ausflugsschiffe und Segelboote, am Nordufer gibt es einen Strand und rund um den See, wo Platz ist, kleine Wochenendhäuser, Campingplätze und Ausflugslokale. Keines dieser Häuser aber kann mit dem Schloss Vranov nad Dyjí in irgendeiner Hinsicht mithalten: erbaut nach Plänen Fischer von Erlachs, hoch über dem schluchtartigen Tal thronend, schon vom Gegenhang sieht man den den Ahnensaal. Schon damals galt in der Immobilienbranche der Grundsatz: Lage, Lage, Lage!
Wir sind nicht zum Schloss hinaufgefahren, dafür aber hinunter in den Ort zur einzigen Tankstelle weit uns breit mit Sonntagsöffnung und Shop. Und der Shop ist winzig und gsteckt voll als ich mich mit Cola, Energy Drink und Nealko Radler in die Schlage einreihe. „Gehens nur vor, ich hab Zeit“ meint ein Mann vor mir (auf tschechisch, aber so viel verstehe ich gerade noch), „ich hab auch Zeit“ sagt die Frau vor ihm und so geht eine Welle von Zeithaben und Nettsein durch das Geschäft, dass ich plötzlich ganz vorne in der Schlange bin. Ob die durstigen Radfahrenden in der Hitze Mitleid erregt haben? Oder wollten alle nur noch ein wenig länger die Kühle des klimatisierten Geschäfts geniessen?
Der Rest der Tour ist schnell zusammengefasst: Hügel bis Znojmo, Nealko bei der Rotunde, Abendessen einkaufen bei Kaufland und dann gerade noch rechtzeitig in den Zug nach Wien bevor das Gewitter losgeht. Dass wir dabei leider Jon Worth verpasst haben, der auf einer CrossBorderRailway Tour genau dann aus dem Zug nach Znojmo gestiegen ist als wir eingestiegen sind, ist der einzige kleine Makel an diesem perfekten Radtouren-Wochenende.
Die Fotos

































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