Geplant war heute eine Tour nach Hodonin mit ein wenig Nervenkitzel: die Umsteigezeit zwischen dem Zug Hodonin – Břeclav und dem Zug Břeclav – Wien beträgt fahrplanmässig 2 Minuten. Ob sich das ausgeht? Wo muss man da im Zug sitzen, dass man das ggf. noch derrennt und nicht den nächsten Zug eine Stunde später nehmen muss? Vielleicht wollten wir es so genau dann auch nicht wissen, denn nach rund 45 Kilometern sind wir links abgebogen. Da geht es kurz steiler rauf und dann steht man vor dem ziemlich neuen Eingangsgebäude des Museumsdorfes Niedersulz, an dem wir schon zig mal vorbeitgefahren sind, aber bis auf einen kurzen Abstecher vor einigen Jahren, als dort das Mittagessen bei der In Velo Veritas war, waren wir nie drin.
Also heute rein ins “Museumsdorf”, ein Freilichtmuseum, das nicht nur “Dorf” heisst, sondern tatsächlich wie ein Dorf aufgebaut ist. Es gibt am Dorfrand als erstes der alten Gebäude eine zweiklassige Volksschule mit in Kurrentschrift beschriebenen Tafeln, hölzernen Bänken und einem Garten davor. Wir schlendern den Weg hinunter zum Bach und reissen zwei nette Ferialpraktikantinnen aus ihrer Langeweile. Die sollen an einer Station zum Thema Lehmbau Besucher*innen zeigen, wie man Lehmziegel macht, doch heute kommt kaum jemand. Wir sind im Museumsdorf fast allein unterwegs – sind wohl alle heute am ersten echten Sommertag seit einem Monat im Freibad. Also Handschuhe aus und Lehm gatschen, in die Form füllen und wären wir nicht mit den Rennrädern unterwegs, dann könnten wir unsere Ziegel auch gleich mitnehmen. Lehmziegel sind das Haupt-Baumaterial der zahlreichen Gebäude hier im Dorf, denn Lehm hat man im Weinviertel eigentlich überall. Interessanter als das Herumgatschen mit dem Lehm sind aber die verschiedenen Techniken, wie man aus diesem Material eine Wand oder eine Decke eines Hauses fabriziert. Ein lange vergessener Baustoff, der vielleicht eine gewisse Renaissance erlebt.
Die Häuser des Dorfes haben grossteils Lehmmauern. Ob das zu der angenehmen Kühle in den Räumen beiträgt, die man sofort spürt, wenn ehrfüchtig den Kopf neigt und eine alte Fassbinder- oder Schneiderwerkstatt betritt. Wenn man so wie Ulrich über 1,90 m gross ist, wird man in diesem Museum quasi in eine Demutshaltung gezwungen, denn hier gibt es kaum Türstöcke, wo nicht sogar ich kurz überlege, ob ich nicht doch Gefahr laufe dagegen zu laufen. Draussen vor den Häusern muss ich mich dann aber immer wieder mal strecken, denn hier gibt es duftende Heckenrosen, an denen ich bekanntlich nicht vorbeigehen kann ohne mal daran zu schnuppern. Jedes der in Einzelteilen nach Niedersulz transportierten Häuser hat einen Vorgarten und wie das früher so üblich war, sind diese Vorgärten liebevoll gestaltet und mit Blumen besetzt, die mir alle irgendwie bekannt vorkommen, deren Namen mir aber nicht geläufig sind. OK, Rosen und Dahlien kenne ich, und waren das da hinten wirklich Pfingstrosen, jetzt, eine Woche vor Mariä Himmelfahrt?
Ein echtes Dorf hat natürlich neben den Wohnhäusern und Werkstätten auch eine Kirche (Niedersulz hat 3 Kapellen), Wirtshäuser (mehrere vorhanden) und im Weinviertel natürlich auch zahlreiche Presshäuser. Hier fällt mir zum ersten Mal auf, dass diese Pressen gleichsam ins Haus eingebaut sein müssen. Auch sehr typisch für die Gegend sind die Zwerchhöfe, bei denen der Wohntrakt strassenseitig liegt und der Wirtschaftstrakt des Hauses im rechten Winkel angebaut nach hinten auf das Grundstück geht. Schlecht erklärt? Das Haus ist einfach L-förmig, vorne wohnt man, hinten sind Ställe oder Wirtschaftsräume, gesäumt von einem Laubengang. Jede Menge Platz gibt es in den rund 60 Gebäuden und so werden einige auch als Ausstellungsräume genutzt, etwa zur Geschichte der Landwirtschaft in Niederösterreich oder eine Ausstellung verschiedener Kummete. Zugegeben: nicht alles davon ist von überregionaler Bedeutung.
Wir hätten noch viel mehr Zeit im Dorf verbringen können, aber die ohnehin schon gekürzte Tour wollte noch zu Ende gefahren werden. Also weiter nach Břeclav, wo wir in genau dem Zug landen, den wir beim ursprünglichen Plan hätten nehmen wollen. Als der Zug aus Hodonin mit 1 Minute Verspätung einfährt und wir kurz darauf das Abfahrtsignal bekommen, wissen wir: das wäre sich nie im Leben ausgegangen.
Die Fotos






































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