Ein weiteres Mal geht es auf fast 1000 m hinauf, was aber. nach mehr klingt als es ist, schliesslich starten wir ja schon auf über 600 m Höhe. Es gibt auch nur zwei nennenswerte Steigungen und dann wird man mit einer langen Abfahrt belohnt und landet beim Červený Kláštor, dem “Roten Kloster”, das im 14. Jhdt. als Karthäuserkloster gegründet worden war und seither eine lange und wechselvolle Geschichte erlebt hat. Unter Joseph II wurde es aufgelassen, ist danach verfallen und wird jetzt wieder restauriert und als Museum genutzt. Man kann es besichtigen, was wir aber nicht tun und uns stattdessen auf den Radweg in Richtung Polen begeben.
Der “Radweg” ist eine schmale Strasse durch die Schlucht, die der Fluss Dunajec hier durch die zerklüfteten Pieniny, die “Kronenberge”, gegraben hat. Auf dem Weg ziehen Karawanen von Radfahrenden und Wandernden mit Kind und Kegel in beide Richtungen, die etwa 10 km dürften bei den Feriengästen hüben und drüben der polnisch-slowakischen Grenze ein beliebter (Rad-)Ausflug sein. Wir haben noch nie solche Massen an Freizeitradler*innen gesehen und das Miteinander funktioniert nur, weil es hier niemand eilig hat und alle nur den Fluss und die atemberaubende Schlucht sehen wollen. Noch mehr Verkehr als auf dem Weg ist auf dem Wasser. Man kann in der Slowakei ein Raftingboot oder ein hölzernes Floss besteigen oder auch ein Kajak mieten und wahlweise noch kurz vor der Grenze oder dann weiter flussabwärts in Polen wieder an Land gehen, wo eine*n dann Taxi, Kleinbus oder von Kaltblutpferden gezogene Fuhrwerke wieder zurück an den Ausgangsort bringen. An manchen Stellen ist der Verkehr der Flosse und Boote so dicht, dass man schon fast Blockabfertigung einführen müsste.
Wir folgen dem Dunajec weiter bis in unsere heutige Stadt, Nowy Sącz, eine Stadt, die ausser einem polnischen Namen auch einen ungarischen, einen slowakischen, einen deutschen und einen jiddischen trägt. Im Mittelalter und während der Blütezeit Polens im 16. Jhdt. war es eine wichtige Handelsstadt und Zentrum der Reformation (möchte man garnicht glauben in einem Land, wo Papst Johannes Paul II an jeder Ecke ein Denkmal gesetzt ist). Die Stadt ist und wurde im Verlauf der Jahrhunderte mehrfach abgebrannt. Nach der Teilung Polens, gehörte sie zum habsburgischen Galizien.
Während dieser Zeit und in der kurzen Zeit der polnischen Republik der Zwischenkriegszeit war Nowy Sącz ein jüdisches Zentrum mit etwa einem Drittel jüdischer Bevölkerung. Nur wenige davon haben die Shoah überlebt, das gesamte Ghetto Neu-Sadec für 20.000 Menschen wurde im Sommer 1942 ins Vernichtungslager Belzec deportiert. Heute erinnert noch die Synagoge aus 1746 an die jüdische Geschichte der Stadt, seit knapp einem Jahr gibt es auch ein Shoah-Denkmal mit den in Stein gehauenen Namen der Opfer. Und wer will, kann sich den Schlüssel für den riesigen jüdischen Friedhof am anderen Flussufer bei einer dortigen Nachbarin holen. Wir haben den Friedhof nur von aussen umrundet und die Dame nicht beim (vermutlich) Abendessen gestört, wir sind ja nur Tourist*innen.
Beim Weggehen fällt uns ein Kleinbus mit Kippah-Trägern auf, die in Richtung des Hauses mit dem Schlüssel gehen. Wir haben schon auf dem Weg hierher mehrfach hebräische Schriftzeichen, Inschriften und Hinweise in Hebräisch und Jiddisch, gesehen. Gibt es hier Gedenkreisen und Erinnerungskultur?
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