Nach dem gestrigen Ausflug ins Weinviertel steht heute das Mühlviertel auf dem Speiseplan. Es geht durch die Ausläufer des Riesengebirges in die alte Stadt Nysa, manchen vielleicht eher unter ihrem früheren Namen ‚Neisse‘ benannt. Hierher will heute auch eine kleine Reisegruppe, die wir gestern im Hotel kennengelernt haben: Vier Geschwister aus Osnabrück, die Kinder von Vertriebenen aus der Gegend von Prudnik, die auf der Suche sind nach der alten Heimat ihres Vaters, von der er immer wieder erzählt hat. Drei der vier ‚Kinder‘ sind inzwischen selber in Pension und so hat man Zeit sich die Gegend anzusehen, die letzten noch lebenden entfernten Verwandten zu besuchen und mal beim ehemaligen Haus des Vaters anzuklopfen, ob man mal kurz reinschauen darf. Uns hätte schon interessiert, ob sie durften, aber leider sind sie uns heute nicht noch einmal über den Weg gelaufen und wir konnten sie nicht mehr fragen.
Ja, hier ist die Geschichte des letzten Jahrhunderts noch zu sehen, an den Ortsnamen, die auf die deutschsprachige Bevölkerung von 1945 verweisen, auch in ihrer tschechischen Version, oder auch hier in Nysa in der Bebauung der Stadt. Die ist nämlich eben *nicht* historisch. Ganz am Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Stadt dann doch noch zum Schauplatz einer Schlacht gegen die Rote Armee geworden und dann, nach ihrer Eroberung, zum Opfer von Plünderungen und Bränden. Der Grossteil des Stadtgebietes war danach so beschädigt, dass der Wiederaufbau eine Ewigkeit gedauert hätte, doch eine Ewigkeit hatte man in den 50er Jahren nicht Zeit, man musste Wohnungen schaffen um die ihrerseits oft aus ostpolnischen Gebieten vertriebenen neuen Stadtbewohner*innen unterzubringen. Und so beginnen gleich hinter dem Rynek Bauten, wie man sie in Oesterreich auch kennt: zeilenweise Wohnbauten, 4 Geschosse hoch, dazwischen ein paar Garagen und Plätze zum Wäschetrocknen, Grün, Spielplätze. Stadtrandbebauung eben, hier aber gleich im Stadtzentrum, wo vor 1945 noch barocke Häuser und Gründerzeitbauten gestanden haben. Es ist jetzt aber nicht so, dass ganz Nysa aussieht wie eine polnische Version der Per-Albin-Hanson-Siedlung, nein, man hat die wichtigsten Bauwerke ziemlich originalgetreu wiederaufgebaut, aber eben nur die. Wenn man hier beim Schlendern durch die Stadt ein altes Haus sieht, ist das ziemlich sicher irgendwas wichtiges – sehr praktisch für ortsunkundige Tourist*innen.
In Nysa und Umgebung war eines der Zentren der polnisch-tschechischen Seite der Hochwasserkatastrophe von 2024. Schon auf der Fahrt hierher waren die Spuren noch gut zu sehen, auch wenn emsig gebaut wird um die Infrastruktur wieder in einen benutzbaren Zustand zu bringen. Dazwischen gibt es ein paar Behelfsbrücken (die Gummimatten sind mit dem Fahrrad absolut schräg zu befahren), ein paar zur Hälfte unterspülte Strassen und viele, viele noch immer feuchte Keller und Hauswände. Nysa selber war im September Ort eines Hochwasser-Thrillers: während in der Innenstadt schon Wasser stand, wurden auf der einen Seite der Altstadt Menschen evakuiert und auf der anderen Seite hat man es mit Müh und Not und unter Einsatz von Feuerwehr, Menschenketten aus der Zivilbevölkerung und unzähligen Sandsäcken geschafft den brechenden Damm der Glatzer Neisse zu halten bis das Wasser wieder zurückging. Heute sieht man vom Drama nichts mehr, nur ein Flussufer, an dem ein paar Leute im Gras sitzen, ein Bier trinken und die letzten Sonnenstrahlen des Tages geniessen.
Die Fotos































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