Jetzt waren wir doch in Auschwitz. Für Menschen unserer Generation und unserer Sozialisation ist Auschwitz das, was immer mitgeschwungen hat. Die schwarz-weisse, etwas verwischte Aufnahme des Lagertors von Birkenau im Schnee mit den darauf zuführenden Schienensträngen und der zynische Spruch „Arbeit macht frei“ bildeten den Hintergrund, vor dem sich so viel der Literatur und der Politik, der persönlichen Gespräche und der Theaterstücke meiner prägenden jungen Jahre abgespielt haben. Auschwitz war ein „lieu de mémoire“, ein Erinnerungsort, ohne dass ich jemals dort gewesen bin, ein Ort, den ich aus so vielen Erzählungen kenne, ohne ihn jemals wirklich gesehen zu haben. Gleichsam ein negativer „Sehnsuchtsort“, falls es so etwas geben kann.
Und jetzt waren wir also dort. Ein riesiger Besucherparkplatz voll mit Bussen und den Minibussen der ‚versäumen Sie nicht Auschwitz‘-Touren, die von Krakau hierher fahren. Lange Schlangen vor dem Ticketschalter, Einlasskontrollen wie auf dem Flughafen mit Kontrolle des Boardingpasses und des dazu passenden Lichtbildausweises. Automaten mit Pepsi und den überall in Europa gleichen Tramezzini aus der dreieckigen Plastikverpackung. Wir haben unsere 6‑stündige Study Tour schon vorab gebucht, können also an der Schlange vorbei und bekommen Funk-Kopfhörer, die wir die nächsten 3 Stunden beim Besuch des sogenannten Stammlagers tragen und ohne die eine Besichtigung auch nicht möglich wäre: dicht an dicht schieben sich die Besuchergruppen durch die Baracken, über den Hof, auf dem Tausende Gefangene erschossen worden sind, durch die Folterkeller mit ihren Stehbunkern, durch die Gaskammer und das Krematorium, man hat kaum einen Moment um stehen zu bleiben und sich zu vergegenwärtigen, an was für einem Ort man sich hier befindet. Erläuternde Texte gibt es kaum und es wäre auch keine Zeit sie zu lesen, denn es drängt schon die nächste Gruppe nach über ausgetretene Treppen.
Nach einer kurzen Mittagspause und einer Fahrt mit dem Bus nach Birkenau geht es am Nachmittag ruhiger zu. Wir wandern mit unserem Guide Renata über das unglaublich weitläufige Gelände, von der berühmten Rampe zu den Krematorien, nach „Kanada II“ und zum Schluss zur Kinderbaracke. Jetzt haben wir keine Kopfhörer mehr und es ist endlich auch etwas Zeit Fragen zu stellen. Wieviel von dem, was wir jetzt sehen, ist noch „original“ ist eine der Fragen, die mehrfach gestellt wird, aber auch über den Umgang der Besucher*innen mit dem Ort und die Politik der katholischen Kirche in Polen spricht unsere kleine, fast nur aus Oesterreicher*innen bestehende Gruppe.
Die Fragen aber, die sich im Laufe des Tages langsam in meinem Kopf formieren, kann ich noch nicht stellen. Sie sind auch jetzt noch nicht ganz klar formulierbar und kreisen um ein Thema, nämlich die Frage, was es mit einem Ort macht, wenn er von einem Gedenkort zu einem Ort des Massentourismus wird, und was mit den Menschen, die ihn besuchen. Wieviele Selfies hält solch ein Ort aus? Und was, ausser Selfies, nehmen diese Menschen aus Auschwitz mit?
Die Fotos































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