Tag 3: Oświęcim

Σ 51km

Jetzt waren wir doch in Ausch­witz. Für Men­schen unse­rer Gene­ra­ti­on und unse­rer Sozia­li­sa­ti­on ist Ausch­witz das, was immer mit­ge­schwun­gen hat. Die schwarz-weis­se, etwas ver­wisch­te Auf­nah­me des Lager­tors von Bir­ken­au im Schnee mit den dar­auf zufüh­ren­den Schie­nen­strän­gen und der zyni­sche Spruch „Arbeit macht frei“ bil­de­ten den Hin­ter­grund, vor dem sich so viel der Lite­ra­tur und der Poli­tik, der per­sön­li­chen Gesprä­che und der Thea­ter­stü­cke mei­ner prä­gen­den jun­gen Jah­re abge­spielt haben. Ausch­witz war ein „lieu de mémoi­re“, ein Erin­ne­rungs­ort, ohne dass ich jemals dort gewe­sen bin, ein Ort, den ich aus so vie­len Erzäh­lun­gen ken­ne, ohne ihn jemals wirk­lich gese­hen zu haben. Gleich­sam ein nega­ti­ver „Sehn­suchts­ort“, falls es so etwas geben kann.

Und jetzt waren wir also dort. Ein rie­si­ger Besu­cher­park­platz voll mit Bus­sen und den Mini­bus­sen der ‚ver­säu­men Sie nicht Auschwitz‘-Touren, die von Kra­kau hier­her fah­ren. Lan­ge Schlan­gen vor dem Ticket­schal­ter, Ein­lass­kon­trol­len wie auf dem Flug­ha­fen mit Kon­trol­le des Boar­ding­pas­ses und des dazu pas­sen­den Licht­bild­aus­wei­ses. Auto­ma­ten mit Pep­si und den über­all in Euro­pa glei­chen Tra­mez­zini aus der drei­ecki­gen Plas­tik­ver­pa­ckung. Wir haben unse­re 6‑stündige Stu­dy Tour schon vor­ab gebucht, kön­nen also an der Schlan­ge vor­bei und bekom­men Funk-Kopf­hö­rer, die wir die nächs­ten 3 Stun­den beim Besuch des soge­nann­ten Stamm­la­gers tra­gen und ohne die eine Besich­ti­gung auch nicht mög­lich wäre: dicht an dicht schie­ben sich die Besu­cher­grup­pen durch die Bara­cken, über den Hof, auf dem Tau­sen­de Gefan­ge­ne erschos­sen wor­den sind, durch die Fol­ter­kel­ler mit ihren Steh­bun­kern, durch die Gas­kam­mer und das Kre­ma­to­ri­um, man hat kaum einen Moment um ste­hen zu blei­ben und sich zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, an was für einem Ort man sich hier befin­det. Erläu­tern­de Tex­te gibt es kaum und es wäre auch kei­ne Zeit sie zu lesen, denn es drängt schon die nächs­te Grup­pe nach über aus­ge­tre­te­ne Treppen.

Nach einer kur­zen Mit­tags­pau­se und einer Fahrt mit dem Bus nach Bir­ken­au geht es am Nach­mit­tag ruhi­ger zu. Wir wan­dern mit unse­rem Gui­de Rena­ta über das unglaub­lich weit­läu­fi­ge Gelän­de, von der berühm­ten Ram­pe zu den Kre­ma­to­ri­en, nach „Kana­da II“ und zum Schluss zur Kin­der­ba­ra­cke. Jetzt haben wir kei­ne Kopf­hö­rer mehr und es ist end­lich auch etwas Zeit Fra­gen zu stel­len. Wie­viel von dem, was wir jetzt sehen, ist noch „ori­gi­nal“ ist eine der Fra­gen, die mehr­fach gestellt wird, aber auch über den Umgang der Besucher*innen mit dem Ort und die Poli­tik der katho­li­schen Kir­che in Polen spricht unse­re klei­ne, fast nur aus Oesterreicher*innen bestehen­de Gruppe.

Die Fra­gen aber, die sich im Lau­fe des Tages lang­sam in mei­nem Kopf for­mie­ren, kann ich noch nicht stel­len. Sie sind auch jetzt noch nicht ganz klar for­mu­lier­bar und krei­sen um ein The­ma, näm­lich die Fra­ge, was es mit einem Ort macht, wenn er von einem Gedenk­ort zu einem Ort des Mas­sen­tou­ris­mus wird, und was mit den Men­schen, die ihn besu­chen. Wie­vie­le Sel­fies hält solch ein Ort aus? Und was, aus­ser Sel­fies, neh­men die­se Men­schen aus Ausch­witz mit?

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Fediverse-Reaktionen


2 Antworten zu „Tag 3: Oświęcim“

  1. @lechat
    Oha,
    ich dach­te schon län­ger, dass ich mir das Grau­en eigent­lich auch mal selbst anse­hen soll­te. Wenn ich jetzt Dei­nen Bericht lese, mit dem „ohne Zeit durch­ge­schleust wer­den“, neh­me ich da eher Abstand von.
    Ich glau­be ich brau­che an so einen Ort Zeit zum Auf­neh­men, reflek­tie­ren, usw.

    Getak­tet durch­ge­schleust zu wer­den, wür­de für mich dem Ort nicht gerecht werden.

    1. @jan_mayen @lechat das war auch mein Pro­blem. Die Aus­stel­lung in den Bara­cken im Stamm­la­ger war wirk­lich ein Durch­schie­ben. Mag sein, dass es am Wochen­en­de gele­gen hat. In Bir­ken­au war es aber deut­lich bes­ser! Ich wür­de nicht davon abra­ten sich Ausch­witz anzu­se­hen, aber ich glau­be man soll­te wis­sen, was eine*n erwartet.

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