Die nächsten Tage werden wir von Bier und eingelegtem Hermelin leben müssen, Restaurant gibt es erst wieder, wenn die Kosten des heutigen Tages wieder eingespielt sind. Wir haben nämlich das Garmin Varia RTL 515 irgendwo im Weinviertel angebaut. Keine Chance ein Fahrradrücklicht – und sei es noch so bluetooth-fähig – irgendwo zwischen Gänserndorf und Angern, auf etlichen Kilometern durch Felder und neben dem Bahndamm, wiederzufinden, daher versuchen wir es auch nur ganz kurz und suchen nach einer Quelle für so ein Ding in Tschechien, vorzugsweise einer, die auch am Sonntag offen hat. Und tatsächlich, so ein Geschäft gibt es wirklich, die Datart-Filiale in Uherské Hradiště hat am Sonntag geöffnet und nachdem ich dem Verkäufer erklärt habe, was ich suche (Radar-Rücklicht, nicht nur ein gewöhnliches!) und dass sie das lagernd haben, hat er sich erinnert, was das ist, ist nochmal ins Lager gegangen und hat es tatsächlich gefunden und wir sind jetzt 4000 Kronen ärmer. Ohne Garmin gehts aber nicht auf den Landstrassen der Gegend, es ist einfach zu praktisch, dass das Ding piept, wenn sich von hinten ein Fahrzeug nähert und das auch noch auf dem Handy-Navi anzeigt. Eigentlich unverzichtbar.
Kaum verlassen wir Uherské Hradiště, dreht der Wind auf Nord-Ost, die Sommerhitze bleibt uns aber noch erhalten. Die lässt erst nach als wir schon in Kroměříž sind, einer Stadt, die in Österreich eher unter ihrem deutschen Namen bekannt ist: Kremsier. In den letzten Wochen habe ich allerdings festgestellt, dass sich die Bekanntheit der Stadt vorwiegend auf Historiker*innen und Jurist*innen beschränkt und sie sonst niemand zu kennen scheint. Was hat es damit also auf sich? 1848 war in Europa Revolution, auch in Österreich und da vor allem in Wien. Man hat Metternich geschasst, das Volk war bewaffnet und und wollte nicht mit dem kroatischen Feldherren Jelačić (das ist der Herr auf dem Hauptplatz von Zagreb, vgl. Balkanreise im Mai 2024) gegen die ungarische Revolution kämpfen. Der Kriegsminister Latour wurde gelyncht. So sieht Revolution in Krähwinkel aus, mit uns ist nicht zu spassen! Der kaiserliche Hof hat sich (vermutlich zu Recht) in Wien nicht mehr sicher gefühlt und ist nach Olomouc (Olmütz) geflohen. Der konstituierende Reichstag hat sich in der Nähe von Olomouc, in Kroměříž, im erzbischöflichen Palast zu seinen Sitzungen getroffen und eine Verfassung ausgearbeitet. Die Reaktion hat allerdings gewonnen, die Revolution wurde niedergeschlagen (u.a. durch den erwähnten koratischen Nationalhelden Jelačić) und so musste Cisleithanien noch Jahrzehnte auf eine ähnlich fortschrittliche Verfassung warten wie sie im „Kremsierer Entwurf“ vorgelegt worden war: Bindung des Kaisers an die Verfassung, oberstes Gericht, Föderalismus, Abschaffung der Todesstrafe, Abschaffung des Adels, Freiheit der Wissenschaft, der Presse etc.
Aber auch, wenn man von österreichischer Rechts- und Verfassungsgeschichte keine Ahnung hat und das Thema für so interessant hält wie die Weltmeisterschaften im Stricklieseln, ist Kroměříž eine Reise wert. Die Stadt ist im 30-jährigen Krieg zerstört und danach wieder aufgebaut worden, ein barockes Stadtzentrum mit quadratischem Hauptplatz und diesen Arkadengängen rundherum, die ich so gern habe (die sind allerdings noch Reste der mittelalterlichen Bebauung), hinter dem erzbischöflichen Palais ein Englischer Garten, etwas weiter ausserhalb ein Blumengarten, der leider schon geschlossen hatte. Das alles befindet sich auf der UNESCO Weltkulturerbe-Liste, aber die Stadt ist alles andere als überlaufen, im Gegensatz zu anderen Städten, die sich auf der selben Liste befinden. Liegt vielleicht daran, dass Sonntag Abend ist. Das ist übrigens genau der richtige Zeitpunkt für Bier, Hermelin und eingelegte Wurst unter den vorbildlich mit einem Wuzler ausgestatteten Arkaden, finden wir.
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