Die 60er und 70er Jahre waren eine schwere Zeit für alte Fabriksgebäude, Bergwerke und andere frühe Industriedenkmäler. Oft standen sie der neuen Welt des Konsums mit ihren Strassen und Einkaufszenten im Wege und wurden abgerissen – hätten sie nur ein paar Jahre länger existiert, wären sie vielfach wichtige Denkmäler ihrer Epoche geworden. Auch der Grand Hornu konnte nur knapp und durch die Initiative eines einzelnen Architekten vor diesem Schicksal bewahrt werden, der das Gelände um einen symbolischen Franc erwarb und soweit am Leben erhielt, dass noch etwas davon erhalten war als es der belgische Staat knapp 20 Jahre später zurückkaufte. Heute, noch einmal gut zwei Jahrzehnte später, ist der Grand Hornu gemeinsam mit dem Bergwerk Bois de Cazier und zwei weiteren Orten UNESCO Weltkulturerbe. So kanns gehen, man sollte wirklich nichts wegwerfen, das alte Graffl kann ja nochmal was wert sein!
Was ist dieses alte Graffl aber? Der Grand Hornu ist eine der wallonischen Kohleminen, die sich von den anderen vor allem durch zwei Dinge unterscheidet: die heute noch existierenden Gebäude stammen aus der Frühzeit der Industrialisierung als man noch nicht so genau wusste, wie man “Fabrik” eigentlich bauen soll und daher Anleihen beim Sakralbau (Kirche, Kloster) und in der Landwirtschaft (von Wirtschaftsgebäuden umgebener Hof) genommen hat. Das ganze dann noch im klassizistischen Stil und ein wenig mit dem Panoptikon versehen und heraus kommt ein Bergwerksgebäude, das denen in Bois de Cazier so überhaupt nicht ähnelt. Die zweite Besonderheit ist, dass Henri de Gorge, der Gründer der Fabrik, nicht nur einen architektonischen Anspruch an die Fabrik hatte, sondern auch seine Arbeiter dauerhaft an das Bergwerk binden wollte. Es wurden also in den 1820er Jahren nicht nur Stollen, eine Maschinenhalle (die “Kathedrale”) und Ställe errichtet, sondern auch rund 450 Arbeiterhäuser. Die waren für die damalige Zeit sehr gut ausgestattete Reihenhäuser für jeweils eine Familie, aus Backstein mit Brot-Backofen und eigenem Gärtchen, und sogar Wasser hatte man. Auch der Zins war moderat, es gab nur die Bedingung, dass von jedem Haus mindestens zwei Personen in der Mine arbeiten mussten, sonst konnte man dort nicht wohnen bleiben. Eine für Kinder bis 12 verpflichtende Schule (Jahrzehnte vor der Einführung der Schulpflicht in Belgien), eine Krankenstation, eine Bibliothek und Parks, – nicht schlecht! Die Errichtung einer Pferdeeisenbahn führte dennoch 1830 zu einem gewaltsamen Aufstand der (zu Recht) um Ihre Jobs fürchtenden Fuhrwerker, und dass man in Belgien bis 1959 kaum Arbeitsschutz kannte, haben wir in Bois de Cazier gelernt, also nicht alles eitel Wonne, aber wohl besser als die “Lage der arbeitenden Klassen in England” und andernorts in der Zeit der Frühindustrialisierung.
All das und noch mehr haben wir bei der Führung über das Gelände erfahren, die noch nicht einmal extra kostet, aber wir waren dennoch die einzigen Teilnehmer*innen und auch sonst gab es nicht allzu viele Besucher*innen. Auch vom Ende des Kohlebergbaus im Grand Hornu erfahren wir. Es war wenig spektakulär, denn es ist schlicht die förderbare Kohle ausgegangen und der Versuch einer Diversifizierung der Produktion durch eine angeschlossene Zuckerfabrik konnte auch nicht mehr verhindern, dass man 1954 nicht mehr sehr viel zu tun hatte als das inzwischen unrentable Bergwerk geschlossen wurde.
Auf dem Weg zum Bergwerk und danach runter nach Mons sind wir heute viel auf ehemaligen Bahntrassen unterwegs. Biersorten, ehemalige Bahntrassen und Friteries hat man hier wirklich in rauhen Mengen diesseits und jenseits der quasi nicht erkennbaren französisch-belgischen Grenze. Und wenn wir schon vom Bier sprechen: hier gibt es nicht nur die bekannten Fruchtbiere sondern als besondere Absurdität auch Leffe, das bekannteste der gehaltvollen Abteibiere, in einer alkoholfreien Version. Kann man sogar trinken.
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