Tag 13: Arras – Lewar­de – Arras

⌴ 70.3km ⋅ ↗ 274hm ⋅ ↘ 271hm ⋅ ⤓ 24m ⋅ ⤒ 77m ⋅ ◷ 4:36:35  ⋅ Σ 1070.0km

“Wenn euch die Geschich­te des Koh­le­berg­baus inter­es­siert, müsst ihr nach Lewar­de”, hat unse­re Füh­re­rin durch den Grand Hor­nu gesagt, “dort haben sie sogar einen Schacht!” Le-wa? Le-wie? Wir krie­gen einen Zet­tel mit dem Orts­na­men in Block­buch­sta­ben und sehen, dass Lewar­de qua­si auf unse­rem Weg nach Paris liegt, wenn man den Weg über Arras füh­ren lässt. Und dann ist auch noch Schlecht­wet­ter ange­sagt, also sind weni­ger Kilo­me­ter eh eine gute Idee.

Um 8 schüt­tet es, wir dre­hen uns noch­mal im Bett um, um 9 schüt­tet es noch immer, also noch­mal umdre­hen, und als der Regen um 10 noch immer nicht vor­bei ist, wage ich mich dann doch zur Bäcke­rei an der Ecke, denn irgend­wann kriegt man Hun­ger. Zwei Crois­sants und zwei “Tra­di­ti­ons” (tra­di­tio­nel­le Baguette) kos­ten hier übri­gens EUR 4.40 – alles zusam­men wohl gemerkt! Eine der Tra­di­ti­ons lan­det mit Reb­loch­on gefüllt als Mit­tag­essen in mei­ner Rad­ta­sche, der Rest wird ein aus­gie­bi­ges Früh­stück. Zeit haben wir ja beim War­ten auf das Ende des Regens…

Das Wet­ter mag uns heu­te nicht gnä­dig sein und so bre­chen wir dann doch auf und sind nach 35 km im Regen über Land­stras­sen, durch ehe­ma­li­ge Berg­ar­bei­ter­sied­lun­gen und das Gewer­be­ge­biet von Douai im “Cent­re his­to­ri­que minier de Lewar­de”. Wenn man den Schacht besich­ti­gen will, muss man an einer Füh­rung teil­neh­men, also tun wir das. Wir star­ten bei der ehe­ma­li­gen Lam­pen­aus­ga­be, über­que­ren den Hof und stei­gen hin­auf zu der Stel­le, wo frü­her der Lift die Gru­ben­hun­te aus­ge­la­den hat und die Berg­leu­te in den Schacht eige­fah­ren sind. Für uns hat man einen moder­ne­ren Lift gebaut, aber 25 Per­so­nen in einem Lift, das ist eng, egal, ob er aus Edel­stahl gebaut ist oder Wän­de aus Stahl­git­ter hat. 

“Unten” hat man in meh­re­ren Sta­tio­nen das Berg­werk so her­ge­rich­tet, wie es in ver­schie­de­nen Epo­chen aus­ge­se­hen hat. “Unten” in Anfüh­rungs­zei­chen, denn wir sind nicht wirk­lich in der Koh­le­gru­be, die hier bis zu 500 m tief war, son­dern in einem Nach­bau einer Koh­le­gru­be in den Berg­werks­ge­bäu­den, d.h. auf Boden­ni­veau. Im Grun­de sowas wie Las­caux, wo man ja auch das Ori­gi­nal nicht besich­ti­gen kann, wobei hier aber nicht der Schutz des Ori­gi­nals der Grund für die Replik ist, son­dern die Tat­sa­che, dass man alle fran­zö­si­schen Gru­ben geschlos­sen und aus Sicher­heits­grün­den zube­to­niert hat, d.h. es gibt kein “Ori­gi­nal” mehr zu besich­ti­gen. Dafür aber haben die nach­ge­bau­ten “galé­ries” den Vor­teil, dass man sich auf wenig Raum 2 Jahr­hun­der­te anse­hen kann und auch anhö­ren. Letz­te­res kommt ja wie auch die Ebe­ne des Geruchs in Muse­en oft zu kurz, hier aber nicht. Ein paar Mal bekom­men wir den Sound der ori­gi­na­len Maschi­nen vor­ge­führt – kaum vor­stell­bar, dass man 8 Stun­den beim Sound eines 100 dB lau­ten Druck­luft­boh­rers arbei­ten kann! Ohne Gehör­schutz, wohl gemerkt, denn Sicher­heits­aus­rüs­tung wur­de auch in Frank­reich erst spät ein­ge­führt, d.h. man hat bis weit ins 20. Jhdt. bei bis zu 40 Grad unter Tage mit einem Leder­hut, einem ein­fa­chen Arbeits­ge­wand und Espa­dril­los gear­bei­tet. Kein Helm, kei­ne Sicher­heits­schu­he, kei­ne Hand­schu­he und vor allem der Atem­schutz wur­de erst spät ein­ge­führt und vie­le Kum­pel sind vor­zei­tig an der Staub­lun­ge verstorben.

Pfer­de hat­te man hier unter Tage sehr lan­ge im Ein­satz, vor­zugs­wei­se Kalt­blü­ter aus den Arden­nen, die am Anfang nur mit gros­sem Auf­wand und in Aus­nah­me­fäl­len wie­der aus der Gru­be ans Tages­licht geholt wur­den. Das hat sich spä­ter geän­dert, aber man hat die Pfer­de auch vor­her nicht so schlecht behan­delt wie man den­ken könn­te, denn sie waren teu­er. Auch den mensch­li­chen Arbei­tern in den Koh­le­mi­nen ging es lan­ge Zeit wirt­schaft­lich ver­hält­nis­mäs­sig gut, jeden­falls bes­ser als den Industrieareiter*innen zur glei­chen Zeit. Wie im Grand Hor­nu wohn­ten sie in Berg­ar­bei­ter­sied­lun­gen gleich neben dem Schacht, sozia­le Ein­rich­tun­gen waren eben­so vor­han­den. Ein gros­ser Raum der Aus­stel­lung im ehe­ma­li­gen Ver­wal­tungs­ge­bäu­de wid­met sich den wirt­schaft­li­chen Bedin­gun­gen und der All­tags­kul­tur der Berg­leu­te und ihrer Fami­li­en. Den Aus­flug nach Lewar­de kön­nen wir in jedem Fall empfehlen.

Auf dem Rück­weg (der Regen ist inzwi­schen vor­bei) ist uns dann das pas­siert, was uns auf jeder Rei­se irgend­wann pas­siert: die Open Street­map hat ein etwa 3 km lan­ges Stück des Weges als “asphal­tiert” geführt, das noch nicht ein­mal ein anstän­di­ger Feld­weg ist. Löcher und Schot­ter wären ja noch OK, aber es hat seit Mit­ter­nacht fast durch­ge­hend gereg­net und so haben sind rie­si­ge schlam­mi­ge Pfüt­zen gebil­det, um die und durch die wir jetzt fah­ren, denn irgend­wann ist umkeh­ren auch kei­ne Opti­on mehr. Unse­re Räder sehen jetzt aus wie Cyclo­cross-Räder nach dem Rennen.

Die Fotos

Die Stre­cke


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