Leider ist heute Montag und morgen verlassen wir Mons schon wieder bevor am Mittwoch das “Mundaneum” wieder aufsperrt. Dieses Museum/Archiv/Bibliothek beherbergt die persönlichen Sammlungen, aber auch das Werk von Paul Otlet und Henri La Fonaine, die das Institut International de Bibliographie 1898 in Brüssel gegründet haben. Sie haben die Universal Decimal Classification erfunden, ein System zur Klassifizierung von Wissen, das noch heute von Bibliotheken und Archiven weltweit verwendet wird, und sie haben es auch selber verwendet und Millionen von Karteikarten nach diesem System beschriftet und in Zettelkästen gefüllt. Ziel des ganzen Unterfangens war nichts weniger als die bibliographische Erfassung des gesamten Wissens der Menschheit in solchen Karteikärtchen. Wer mich kennt, weiss, dass mich so etwas interessiert und wie sehr es mich ärgert, dass wir genau die beiden Tage erwischt haben, an denen das Museum geschlossen hat. Aber es kommt auf die Liste für den nächsten Besuch in der Gegend!
Das war jetzt mal das, was wir heute nicht gesehen haben, aber das Ersatzprogramm war auch nicht ganz schlecht. Am Abend haben wir es noch in die Collégiale Sainte Waudru geschafft, die Stiftskirche der Heiligen Waltraut. Dreischiffig, spätgotisch, in allen Grauschattierungen, die das Gestein der Gegend so hergegeben hat, und vor allem unvollendet, den den auf 190 m projektierten Turm hat man im 17. Jhdt. dann nicht einmal mehr begonnen. Das Wissen der gesamten Welt bibliographieren und den bei weitem höchsten Kirchturm der Welt planen – man könnte der Stadt einen gewissen Hang zum Grössenwahn unterstellen… Die Heilige Waltraut ist übrigens noch immer in ihrer Kirche. Sie hat einen goldenen Reliquienschrein aus neugotischer Zeit und wird einmal im Jahr in einer Prozession auf einer weiss-goldenen Kutsche zum Auslüften durch die Stadt gefahren. Diese Prozession muss ein Mordspomp und Spekakel sein, nach den Videos irgendwas zwischen Kölner Karneval und Mittelalterfest.
Auch in Tournai gibt es eine Prozession aber anders als in Mons zeigt man in der Kathedrale von Tournai keine Videos davon, hier muss das Bauwerk für sich selber sprechen. OK, aber welches? Schicht um Schicht haben die Bewohner*innen von Tournai eine Kirche über die andere gebaut: frühchristliche Kirchlein, merowingische, karolingische Bauten, immer wieder an‑, um- und neu gebaut. Im 12. Jhdt. folgte dann die romanische Kathedrale, von der heute noch der Grossteil erhalten ist. Den Chor hat man später gegen einen gotischen ausgetauscht und wenn man dem trauen kann, was man im Moment hinter all den Baustellengittern so sieht, so ist auch der ein ziemlich monumentales Ding. Leider aber derzeit eingerüstet und leider nicht erst seit kurzem, denn die ganze Kathedrale wird derzeit renoviert und bei der Gelegenheit auch gleich archäologisch aufgearbeitet. Das mit der Renovierung ist auch wirklich dringend, aussen auf dem Chor wachsen schon Bäumchen und man hat ihn mit Netzen einrüsten müssen damit niemand durch Steinschlag zu Schaden kommt. Aber man ist Weltkulturerbe, auch wenn man, wie ein Text im Kirchenschiff anmerkt, eine Schwerkranke auf die UNESCO-Liste gesetzt hat. Eine Kranke auf dem langen Weg der Besserung, immerhin.
Viel mehr als die Kathedrale haben wir von Tournai nicht gesehen, ein Regenguss hat uns in Richtung Bahnhof gescheucht, wo wir wieder das “Glück” hatten eine Gumminase/Klobrille zu erwichen, d.h. mit den Rädern kein Niederflur, aber immerhin wissen wir inzwischen, wo man in so einem Zug Räder abstellen kann. Eigentlich wären wir lieber ein Stück den Canal du Centre und die Schelde zurückgefahren, wie wir schon gekommen sind, aber im Regen nicht so reizvoll und so überragend war er ja auch nicht. Es ist nicht der schönste Kanalradweg, den wir je gesehen haben, aber er ist vorhanden, befestigt, ein wenig holprig (Betonplatten), und quasi autofrei. Und man sieht auf dem Weg auch Dinge, die man noch nie gesehen hat und auf den ersten Blick konnten wir auch nicht zuordnen, ob das zivile, industrielle oder gar militärische Bauten sind: die Kalkbrennereien kurz vor Tournai sind doch sehr eigene Bauwerke.
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