Gleich vorweg: auch wenn sie sich auf dem zerbröselnden Oberbau der Verkehrsbetriebe von Oradea genauso wohl fühlen müssen wie auf den Langsamfahrstrecken von Wien, wir haben keinen Ulf gesehen. Angeblich gibt es davon hier drei Stück, aber vermutlich sind sie gerade in Wartung – soll ja auch in Wien nicht eben selten vorkommen, sagt man.
Langsam zerbröseln, das tut auch die Strasse zwischen Gyula und dem ungarischen Grenzort Ártánd. Sie verläuft quer zu den Hauptverkehrsachsen und ist dementsprechend schwach befahren, warum also mehr als das notwendigste flicken? Strassen wie heute sind es, wegen denen wir uns vor Jahren geschworen haben, dass wir Ungarn unter 40 mm Reifenbreite und mit mehr als 4 Bar Druck nicht befahren. Was letzteres anlangt, so sind wir leichtsinnig geworden und haben wir heute den Fehler gemacht die Reifen wieder aufzupumpen…
Auf den letzten Kilometern zur Grenze gibt es zum Glück einen Radweg, denn in der zähflüssigen Kolonne zwischen den LKW fahren wir nicht so gerne. Die Kolonne in die andere Richtung ist noch zäher, wir wissen noch nicht einmal wie lang sie war, denn nach rund 7 km geht sie bei einem Kreisverkehr seitlich weg und dort ist das Ende noch immer nicht abzusehen. Danke, Gertschi, danke, Hanni, dass ihr vor die Wahl zwischen der europäischen Einigung und ein paar Zehntelprozentpunkten bei der niederösterreichischen Landtagswahl gestellt, ohne langes Nachdenken und ohne taktische Spielchen die richtige Wahl getroffen habt. So haben jeden Tag Tausende LKW-Fahrer*innen und Pendler*innen eine kleine Verschnaufpause in ihrem stressigen Alltag und können statt in 15 Minuten in mehreren Stunden über die Grenze fahren und sich dabei noch die ausserordentliche Schönheit des Industriegebiets von Oradea anschauen.
Das Industriegebiet von Oradea ist wirklich keine Schönheit, die Stadt selber hingegen schon. Inzwischen sind wir ja schon auf ungarischen Jugendstil eingestellt, wenn wir hier in eine grössere Stadt kommen, und wir werden auch hier nicht enttäuscht. Das Hauptwerk hier ist allerding weder das Rathaus noch die Synagoge (hat man aber beides natürlich auch, Synagogen gibt es sogar zwei), sondern der “Schwarze Adler”, ein urbanes Mehrzweckgebäude, das von den Architekten der Synagoge von Subotica, Marcell Komor und Deszö Jakab, entworfen wurde. Ursprünglich enthielt es Restaurants, eine überdachte Einkaufspassage, Veranstaltungssäle und sogar eine Brauerei, heute aber stehen viele der Geschäftslokale in der frisch renovierten Passage leider leer. Auch sonst wird hier gerade viel überarbeitet und renoviert und man muss achtgeben, dass man nicht in eine Künette fällt (Baustellensicherung ist hier eindeutig nicht Priorität), aber das was bisher fertig geworden ist, sieht schon sehr, sehr gut aus.
Nachtrag für unsere nicht-österreichischen Leser*innen: bei “Gertschi” und “Hanni” handelt es sich um den derzeitigen Innenminister der Republik Österreich, Gerhard Karner, der Ende 2022 ein Veto gegen den Beitritt von Rumänien und Bulgarien zum Schengen-Vertrag eingelegt hat, weil die inoffizielle Chefin seiner Partei„ Johanna Mikl-Leitner, gerade im niederösterreichischen Landtagswahlkampf gegen die rechte FPÖ punkten musste. Der vorgeschobene Grund für das Veto waren angeblich zahlreiche illegale Grenzübertritte von Serbien nach Rumänien bzw. der Türkei nach Bulgarien, die es bis heute nicht gibt. Frau Mikl-Leitner hat bei der Wahl ordentlich verloren und sofort nach der Wahl eine Koalition mit der FPÖ geschlossen.
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