Amiens – Beauvais, das ist eigentlich gelogen. In Wahrheit war es nur ein einziger Kilometer, den Rest des Tages haben wir mit Warten zugebracht. Mit Warten auf den Covid-Test, mit Warten auf den Zeitpunkt als wir aus dem Hotel mussten, mit Warten auf den Zug, mit Warten im Zug und dann wieder mit Warten auf den Zug beim Umsteigen. Insgesamt haben wir für rund 120 km Bahnstrecke fast 5 Stunden gebraucht – neuer Schneckenrekord mit der Bahn. Mit dem Rad wären es rund 80 km gewesen, das hätten wir in der Zeit auch aus eigener Kraft geschafft. Dass es so lang gedauert hat, hat daran gelegen, dass wir in Amiens auf den Zug aus Paris warten mussten und mit 30 Minuten Verspätung losgefahren sind. Der Anschluss in Creil war dann natürlich weg und den nächsten Zug gabs erst 2,5 Stunden später, weil SNCF: “c’est quoi, le Taktfahrplan?”
Schauen wir uns halt ein bisserl was in Creil an, einer Stadt, von der wir noch nie gehört haben. Das ist die Kategorie Stadt, die nur dann in den Medien vorkommt, wenn es mal wieder Aufstände in den Vorstädten gibt. Das war bekanntermassen im Juni 2023 der Fall und auch hier im Departement Oise gab es mehrere Tage lang Barrikaden, brennende Autos etc. Wir haben nichts zu tun, also machen wir mit den Rädern einen Spaziergang durch die Stadt, die derzeit hauptsächlich Baustelle zu sein scheint. Die buchstäblich schräge Kirche hat heute geschlosen, die. Buchhandlung hat für immer zugesperrt, aber immerhin eine gute Patisserie hat noch offen.
In Beauvais schaffen wir es gerade noch in die Kathedrale, auch eines der Hauptwerke der französischen Gotik. Man hat sich an Amiens orientiert wollte es noch übertreffen, was darin resultiert hat, dass man ein sehr fragiles Bauwerk geschaffen hat, das auch gleich zwei Mal teilweise eingestürzt ist: das erste Mal im 13. Jhdt. der Chor, und dann im 16. Jhdt. der über 150 m hohe Turm, der dann auch gleich den Rest des Gebäudes beschädigt hat. Nachdem da aber schon Reformation war und ausserdem gerade kein Geld da war, gibt es jetzt eben keinen Turm und auch kein Langhaus, d.h. die Kathedrale wurde nach dem Querhaus einfach zugemauert und basta. Seither wird sie mit Holz und Stahl am Einstürzen gehindert, weil trotz mehrerer Nachbesserungen nicht sehr stabil und von Vornherein statisch auf Kante genäht. Die massiven Holzkonstruktionen, die das Querhaus zusammenhalten, sind auf ihre Art durchaus imposan, aber man schaut sich die Kirche eher wegen der 48 m bis zum Gewölbe an, die sie zur höchsten gotischen Kirche überhaupt machen. Macht schon was her, diese Höhe, aber die Kathedrale von Amiens hat uns mehr beeindruckt. Ansonsten ist so ein Rumpf-Bau eher unpraktisch und ungewohnt. So sitzt die Gemeinde bei der Messe teils falsch herum und teils unter der Orgel, d.h. mit dem Gesicht nach Westen statt wie sonst üblich nach Osten in den Chor orientiert und ein Gutteil der Stühle ist natürlich im Chor untergebracht, der sonst eher leer ist, denn man hat ja nicht viel anderes.
Dass gotische Kirchen nicht fertiggestellt wurden oder jahrhundertelang Baustelle blieben, war nicht so selten, siehe Narbonne oder auch Köln, das bis zur Wiederaufnahme der Bautätigkeit im 19. Jhdt. auch wenig mehr als einen Chor als Dom vorzuweisen hatte. Beeindruckend ist sowas aber allemal, auch dass man es nach dem teilweisen Einsturz wieder probiert hat, denn finanziell war so ein Riesenbau für eine kleine Stadt wie Beauvais oder Narbonne nicht leicht zu stemmen.
Wir sind aber nicht nur unterwegs um über mittelalterliche Kunstgeschichte herumzugescheiteln (dazu sind wir ja auch garnicht qualifiziert), also noch ein paar Worte zur Stadt Beauvais selber. Sie erscheint uns wie eine dieser Vor- und Schlafstädte, wie es sie und um Paris in grösserer Zahl gibt. Eine Stunde mit dem Zug, der unter der Woche für die Pendler*innen auch öfter fährt. Mehr gibts da wohl nicht zu sagen.
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