Die Gegend, in der wir uns derzeit befinden, ist offenbar keine Hauptdestination für Radreisende. Wir haben seit der Dunajec-Schlucht nur einen einzigen Radfahrenden mit Bikepacking-Ausrüstung gesehen, klassische Radwandernde überhaupt nicht. Wenn man aber von ein paar wenigen Kilometern auf stärker befahrenen Strassen mit reichlich LKW-Verkehr absieht, denen man leider kaum auskommt, ist dieser Teil Polens ausgesprochen radwanderbar. Das liegt nicht an den Radwegen, von denen es hauptsächlich innerorts welche gibt, oft auch gepflastert wie in Deutschland (manchmal längs gepflastert – igitt!), sondern an den wenig befahrenen Nebenstrassen, auf denen man schnell voran kommt.
Beim Durchfahren erscheint uns die Gegend arg zersiedelt. Manchmal weiss man nicht, ob ein Ort wirklich ein Ort ist oder nur eine Ansammlung von ein paar Häusern mit zu grossen Gärten, Doppelgarage, Thujenhecke und Zaun drum herum. Das sind aber nicht nur alte Häuser, die sind ja hübsch mit ihren bunt blühenden Blumenrabatten und Rosenbüschen. Nein, es werden in diesen unpraktischen, nur mit dem Auto wirklich erreichbaren Lagen auch zahlreiche neue Einfamilienhäuser errichtet, die aber scheints auch mit einem Gasanschluss versorgt werden. Erinnert uns frappant an so einige Gemeinden in Niederösterreich.
Nicht mit Niederösterreich sondern eher mit der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz vergleichbar ist Rzeszów: rund 200.000 Einwohner*innen, Hauptstadt der hiesigen Wojwodschaft, endloses Einkaufszentrum entlang der Einfahrt, sehenswerter Hauptplatz. Dann aber hört es schon auf mit den Änlichkeiten: in der Mitte des Hauptplatzes (Rynek) steht keine Pestsäule sondern das Rathaus, rundum ein Gastgarten neben dem anderen. Wir haben uns einen ausgesucht, in dem es lokales Bier gibt, Ripperl für Ulrich und “galizische Pierogi” für mich. Die “galizischen” Pierogi haben bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine noch “russische” geheissen, sie schmecken aber auch unter dem neuen Namen.
Wenn wir schon beim Thema Essen sind und weil man sich hier neben der Band eh kaum unterhalten kann, kann ich da auch noch ein bisserl dazu sagen: Mittagessen gibt es auf Reisen bei uns immer bei irgendwelchen Bäckereien oder Supermärkten. In der Slowakei und in Polen sind erstere eher rar, dafür gibt es zahlreiche kleine Lebensmittelgeschäfte (auf Wienerisch: Greissler) und in grösseren Orten auch Supermärkte. Das gängige Gebäck ist südlich der Tatra der Rohlik, eine Art Salzstangerl ohne Salz oder längliches Semmerl oder nur leicht gebogenes Kipferl, das geschmacklich so neutral ist wie die Schweiz nur ein paar Cent kostet. Das polnische Äquivalent dazu ist rund, ein wenig teurer und würde auch zu allem passen, aber leider ist die Versorgung mit Käse hier ein wenig eingeschränkter. Es gibt zahlreiche Wurstsorten, aber bei Käse hat die Slowakei die Nase vorn, zumindest wenn man (geräucherten) Liptauer Schafkäse in originellen Formen mag. Schnitten als Dessert (für unsere oberösterreichischen Leser*innen: Wafferl) gibt es auch auf beiden Seiten der Grenze und eine unerwartete Auswahl an alkoholfreiem Bier. 3–4 Sorten sind an der Tankstelle Standard, Radler noch nicht mitgerechnet, von dem gibt es noch doppelt so viel, aber wer will wirklich Radler mit Mangogeschmack? Ich habe ihn todesmutig probiert… Exportieren könnte man aber die polnischen “Żapka”, eine Kette kleiner Geschäfte, die im Stadtzentrum 6 bis 23 Uhr die Grundversorgung mit so Dingen wie Sauerrrahm, Fertigpizza, Kaffee, Marsriegeln und natürlich Bier sicherstellen. Im Grunde eine Tankstelle, die kein Benzin verkauft.
Jetzt ist die Band jetzt auch fertig mit “Let it be” und wir können uns wieder ernsteren Themen widmen. Das wäre leider auch hier in Rzeszów die Geschichte der Stadt in den Jahren 1939–45. Sie liest sich wie die von gestern: Flucht, Erschiessungen, Ghetto, Konzentrationslager. Was hier aber nicht so auffällt wie gestern ist die Erinnerung an die Verbrechen. Die war gestern im Stadtzentrum deutlich zu sehen, hier aber nicht so sehr, so zumindest unser Eindruck nach einem ausführlichen Spaziergang. Die beiden alten Synagogen hat die Stadt in den 50er und 60er Jahren wieder aufgebaut, aber damals war schon klar, dass es hier keine jüdische Gemeinde mehr geben wird. Die Altstädtische Synagoge – die älteste, die wir bisher gesehen haben, aus dem frühen 17. Jhdt. – und ihre nur 100 Jahre jüngere Ergänzung, die Neustadtsynagoge, wurden von vornherein so wiederhergestellt und umgebaut, dass sie ihrem künftigen neuen Zweck als Stadtarchiv und Galerie dienen konnten.
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