Tag 1: Bruxelles

⌴ 3km ⋅ ↗ 89hm ⋅ ↘ 61hm ⋅ ⤓ 14m ⋅ ⤒ 78m ⋅ ◷ 0:18:56  ⋅ Σ 3km

Vor 10 Jah­ren und 2 Tagen haben wir gehei­ra­tet, aber auf einer rich­ti­gen Hoch­zeits­rei­se waren wir noch immer nicht. Ist ja auch ein bis­serl komisch, wenn man nach etli­chen Jah­ren Bezie­hung doch noch hei­ra­tet und dann die­se gan­zen Bräu­che ein­hal­ten woll­te, weis­ses Kleid und Blech­do­sen hin­ten am Auto mit ‘just mar­ried’ und so. Haben wir alles aus­ge­las­sen, aber 10 Jah­re nur mit einer Fla­sche Wein fei­ern? Nein, wir stei­gen in den Nacht­zug nach Brüs­sel. Kon­ser­ven­do­sen hin­ten am Fahr­zeug sind bei der ÖBB zwar nicht erwünscht, vor allem nicht, wenn man gleich im zwei­ten Wag­gon unter­ge­bracht ist, aber die Fla­sche Wein ist natür­lich dabei.

Bevor wir aus Linz wie­der aus­fah­ren, ist die Fla­sche auch schon wie­der leer, was nicht dar­an liegt, dass wir so schnell trin­ken, son­dern ganz allein die Schuld unse­rer Tau­rus ist, die nicht län­ger durch­ge­hal­ten hat. Wie unse­re Nacht­zugs­te­wards rich­tig fest­stel­len, ist Linz aber ein recht guter Ort für die­se Art Gebre­chen. Hier hat man Ersatz, und so kom­men die Rau­cher zu einer extra lan­gen Pau­se und in den de luxe Abtei­len im Schlaf­wa­gen bricht leich­te Panik aus, denn die Toi­let­ten­spü­lung in den Abtei­len funk­tio­niert ohne die Strom­ver­sor­gung durch die Lok nicht. Das tut sie auch sonst auf die­ser Fahrt nur sehr spo­ra­disch, aber unser Ste­ward nimmts locker und reboo­tet das Sys­tem gele­gent­lich. Gegen die Ver­spä­tung, die wir jetzt haben, hilft aber auch kei­ne gute Lau­ne, und sie wird bis zu Ankunft auf 2.5 Stun­den anwachsen. 

Wet­ter hat­ten wir schon mal schö­ne­res, aber die Gegend hier hat im Ver­gleich zu Wien einen gros­sen Vor­teil: es ist deut­lich län­ger hell, was wir gleich für eine klei­ne Wan­de­rung durch die Stadt nut­zen. Wir besich­ti­gen die goti­sche Kathe­dra­le und sind ver­blüfft ange­sichts eines sehr spe­zi­el­len Glas­fens­ters im Lang­haus. Das Fens­ter stammt aus dem 19. Jahr­hun­dert und stellt eine Sze­ne aus der Geschich­te der Stadt dar, auf die man heu­te nicht mehr so stolz ist. Sie spielt am Kar­frei­tag des Jah­res 1370 und zu sehen sind ein paar Juden, die mit Mes­sern auf einem Tisch lie­gen­de Hos­ti­en trak­tie­ren. Aus den Hos­ti­en tritt Blut, was von der katho­li­schen Kir­che ein paar Jahr­zehn­te spä­ter als Wun­der aner­kannt wur­de. Die “Täter”, die sich die Hos­ti­en zwecks Schän­dung eigens beschafft haben sol­len, wur­den gefol­tert und auf der Grand-Place leben­dig ver­brannt. Schon zuvor hat­te die Jüdi­sche Gemein­de als Sün­den­bock für die Pest des 14. Jahr­hun­derts her­hal­ten müs­sen, Pogro­me mit Hun­der­ten Toten inklu­si­ve. Die Tra­di­ti­on der jüdi­schen Gemein­den im Her­zog­tum Bra­bant war damit für lan­ge Zeit unter­bro­chen. Eine ande­re Tra­di­ti­on wur­de mit die­sem Ereig­nis aber begrün­det, die der Anbe­tung der Wun­der­hos­ti­en mit all ihren wenig sub­ti­len anti­se­mi­ti­schen Unter­tö­nen. Erst nach dem zwei­ten Vati­ka­num hat sich die Kir­che unter dem Ein­druck der Sho­ah end­gül­tig von die­sen Pro­zes­sio­nen verabschiedet.

Wir ver­las­sen die Kathe­dra­le wie­der und las­sen uns durch die schon sehr weih­nach­li­chen Stras­sen trei­ben. Son­ne und Regen wech­seln, doch kalt und win­dig ist es die gan­ze Zeit und so besit­zen wir jetzt eine Gar­ni­tur Ski­so­cken und war­me Unter­wä­sche von Dec­a­th­lon (dar­an, dass wr das brau­chen wür­den, haben wir wirk­lich nicht gedacht). Pom­mes mit Majon­nai­se haben wir eben­so schon abge­hakt wie die Pflicht­waf­fel und das hie­si­ge Bier. Fehlt nur noch der klei­ne Wild­pin­k­ler und dann sind wir mit dem Pflicht­pro­gramm durch und kön­nen uns dem wid­men, was wir hier eigent­lich tun und sehen wol­len. Dazu dann morgen.

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Die Stre­cke


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