Vor 10 Jahren und 2 Tagen haben wir geheiratet, aber auf einer richtigen Hochzeitsreise waren wir noch immer nicht. Ist ja auch ein bisserl komisch, wenn man nach etlichen Jahren Beziehung doch noch heiratet und dann diese ganzen Bräuche einhalten wollte, weisses Kleid und Blechdosen hinten am Auto mit ‘just married’ und so. Haben wir alles ausgelassen, aber 10 Jahre nur mit einer Flasche Wein feiern? Nein, wir steigen in den Nachtzug nach Brüssel. Konservendosen hinten am Fahrzeug sind bei der ÖBB zwar nicht erwünscht, vor allem nicht, wenn man gleich im zweiten Waggon untergebracht ist, aber die Flasche Wein ist natürlich dabei.
Bevor wir aus Linz wieder ausfahren, ist die Flasche auch schon wieder leer, was nicht daran liegt, dass wir so schnell trinken, sondern ganz allein die Schuld unserer Taurus ist, die nicht länger durchgehalten hat. Wie unsere Nachtzugstewards richtig feststellen, ist Linz aber ein recht guter Ort für diese Art Gebrechen. Hier hat man Ersatz, und so kommen die Raucher zu einer extra langen Pause und in den de luxe Abteilen im Schlafwagen bricht leichte Panik aus, denn die Toilettenspülung in den Abteilen funktioniert ohne die Stromversorgung durch die Lok nicht. Das tut sie auch sonst auf dieser Fahrt nur sehr sporadisch, aber unser Steward nimmts locker und rebootet das System gelegentlich. Gegen die Verspätung, die wir jetzt haben, hilft aber auch keine gute Laune, und sie wird bis zu Ankunft auf 2.5 Stunden anwachsen.
Wetter hatten wir schon mal schöneres, aber die Gegend hier hat im Vergleich zu Wien einen grossen Vorteil: es ist deutlich länger hell, was wir gleich für eine kleine Wanderung durch die Stadt nutzen. Wir besichtigen die gotische Kathedrale und sind verblüfft angesichts eines sehr speziellen Glasfensters im Langhaus. Das Fenster stammt aus dem 19. Jahrhundert und stellt eine Szene aus der Geschichte der Stadt dar, auf die man heute nicht mehr so stolz ist. Sie spielt am Karfreitag des Jahres 1370 und zu sehen sind ein paar Juden, die mit Messern auf einem Tisch liegende Hostien traktieren. Aus den Hostien tritt Blut, was von der katholischen Kirche ein paar Jahrzehnte später als Wunder anerkannt wurde. Die “Täter”, die sich die Hostien zwecks Schändung eigens beschafft haben sollen, wurden gefoltert und auf der Grand-Place lebendig verbrannt. Schon zuvor hatte die Jüdische Gemeinde als Sündenbock für die Pest des 14. Jahrhunderts herhalten müssen, Pogrome mit Hunderten Toten inklusive. Die Tradition der jüdischen Gemeinden im Herzogtum Brabant war damit für lange Zeit unterbrochen. Eine andere Tradition wurde mit diesem Ereignis aber begründet, die der Anbetung der Wunderhostien mit all ihren wenig subtilen antisemitischen Untertönen. Erst nach dem zweiten Vatikanum hat sich die Kirche unter dem Eindruck der Shoah endgültig von diesen Prozessionen verabschiedet.
Wir verlassen die Kathedrale wieder und lassen uns durch die schon sehr weihnachlichen Strassen treiben. Sonne und Regen wechseln, doch kalt und windig ist es die ganze Zeit und so besitzen wir jetzt eine Garnitur Skisocken und warme Unterwäsche von Decathlon (daran, dass wr das brauchen würden, haben wir wirklich nicht gedacht). Pommes mit Majonnaise haben wir ebenso schon abgehakt wie die Pflichtwaffel und das hiesige Bier. Fehlt nur noch der kleine Wildpinkler und dann sind wir mit dem Pflichtprogramm durch und können uns dem widmen, was wir hier eigentlich tun und sehen wollen. Dazu dann morgen.
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