Radfahren in Ungarn ist eine recht entspannte Angelegenheit. Nicht nur, dass es an grösseren Bergen fehlt, auch die kleineren haben hier in Transdanubien, soweit wir sie bisher gesehen haben, eher moderate Steigungen. Es hügelt sich also dahin, quer durchs Land und entlang der Donau, die hier eine Geländekante zwischen Transdanubien und der Ebene der Batschka gegraben hat. Wenn man mal einen der Hügel erklommen hat, geht es aber auch ganz ordentlich wieder runter, wir sind bei einer der Abfahrten auf knapp 60 km/h gekommen, auf einer leeren Landstrasse mit perfekt gepflegtem Asphalt. Bis auf wenige Stücke war der heute auch sonst in sehr gutem Zustand, als wirklich holprig in Erinnerung ist mir nur der letzte Abschnitt von ca. 10 km durch den Auwald zur Donaubrücke vor Baja.
Da kam aber das zweite grosse Plus von Ungarn als Radurlaubsland zum Vorschein: die Autofahrer*innen überholen ausgesprochen geduldig und rücksichtsvoll, auch auf engen Strassen und das gilt auch für die LKW. Köszönöm szépen – wirklich sehr nett, wir wissen das zu schätzen.
Das dritte Plus ist, dass es erstaunlich oft Radwege gibt. Nicht so flächendeckend wie in den Niederlanden oder in machen Teilen von Deutschland und nicht immer dort, wo man ihn brauchen würde, aber es gibt sowas wie einen Überlandradweg, erkennbar an der gelben Mittellinie. In den Orten zieht sich oft ein Radweg entlang der Hauptstrasse dahin, etwas eng und winkelig, aber er wird gerne verwendet, von älteren Damen mit Einkaufkorb, jüngeren mit Kind auf dem Kindersitz und auch von Jugendlichen mit Schul- und Sportzeug. Dass wir uns das Gewinkel um Bushaltestellen (gibt es in wirklich *jedem* Kaff) nicht antun wollten und stattdessen auf der Strasse geblieben sind, hat man uns auch nicht übel genommen. Bisher sind wir weder aus dem Auto heraus angeschrieen noch “zur Strafe” knapp überholt worden.
Wir haben also keinen Grund uns über unser Ausweichurlaubsland zu beschweren. Doch einen gibt es: der doch recht starke Nordwind auf der an Bäumen armen Ebene der Batschka zieht an unseren Nerven, denn wenn wir unsere Reise nicht in Tirana beschliessen wollen (nein, durch das Kosovo wollen wir derzeit wirklich nicht), müssen wohl oder übel in eine nördliche Richtung.
Damit das nicht nur in allgemeine Betrachtungen ausartet, noch kurz zur heutigen Etappe: es gibt Wein auf dem Plateau und Weinkeller im Sandstein der Plateauwand, Getreide, Auwald, Papriakasalami mit Semmel aus einer Greisslerei als Mittagessen, 28 Grad, Nordwind und als Ziel die Stadt Baja, in der wir schon letztes Jahr übernachtet haben. Diesmal ist aber Freitag statt Montag. Das und die 10 Grad mehr im Vergleich zum letzten Jahr machen aus einem verschlafenen Städtchen fast so etwas wie einen frühsommerlichen Strandbadeort. Stimmung macht eine deutsche Volksmusikgruppe, Baja ist nämlich Zentrum der Deutschungarn, die hier auch alle Schulstufen bis hin zur pädagogischen Ausbildung haben. Man hätte aber doch andere Musikstücke als den “Zillertaler Hochzeitsmarsch” und “Marmor, Stein und Eisen” finden können – was sollen denn die Ungarn denken?!?
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