Gleich hinter Nový Jičín, also nur wenige Kilometer auf unserer heutigen Route, ist einer der ganz grossen Wiener geboren, wie es sich gehört nicht in Wien, sondern irgendwo in den „Kronländern“ Kakaniens. Hier in Příbor hat man den Hauptplatz (im 30-jährigen Krieg zerstört, daher barock, wie es sich für die Gegend gehört) einmal nicht nach T. G. Masaryk benannt, sondern nach dem grössten Sohn der Stadt, der aber gerade mal 3 Jahre alt war als seine Eltern beschlossen haben nach Wien zu ziehen. Sein Geburtshaus ist heute als „bürgerliches Haus des 19. Jahrhunderts“ renoviert und davor steht ein bronzener Diwan mit Überwurfdecke und ein paar sehr harten, weil ebenfalls bronzenen, Polstern. Erraten: es ist Sigmund Freud, der hier in Freiberg/Příbor geboren wurde.
Die Landschaft in diesem Teil Mährens ist viel grüner als die Steppe des Südens. Hügeliger ist es aber auch, und dass wir uns quer zu den Tälern bewegen, lässt auf den knappen 70 Kilometern dann 700 Höhenmeter zusammenkommen bevor wir endlich in Teschen/Český Těšín ankommen. Teschen ist eines aus der langen Liste der Herzogtümer aus dem vollen Titel der habsburgischen Kaiser und es ist eines der Items auf der Liste (vgl. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Franz_Joseph_I.), wo man sich fragt, wo denn das bitte sein soll. Lodomerien ist auch so ein Fall, und auch Kyburg musste ich nachschlagen und das „etc. etc.“ in der langen Liste fällt mir auch schwer zu verorten. Damit ihr nicht selber googeln müsst: Lodomerien ist das Fürstentum Wolhynien (ok, das war vielleicht keine besonders gute Erklärung, gebe ich zu) und liegt heute in der Ukraine, Kyburg ist in der Schweiz.
Das Herzogtum Teschen inkl. der gleichnamigen Stadt ist das Resterl von Schlesien, das den Habsburgern noch geblieben ist, nachdem sie den Großteil im 18. Jahrhundert an Preussen abtreten mussten, es liegt heute genau auf der polnisch-tschechischen Grenze. Wegen dieser Stadt und ihrem Umland gab es 1919 sogar kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Polen und der damaligen Tschechoslowakei, die als Siebentagekrieg in die Geschichte eingegangen sind. Es ging um die Bergwerke der Gegend, aber auch um die wichtige Bahnstrecke nach Košice. Es wurde ein Kompromiss gefunden (dass Polen gerade im Osten andere Probleme hatte, hat die Kompromissbereitschaft sicher befördert): Polen bekam die Stadt, die Tschechoslowakei den Teil auf dem anderen Ufer der Olza, den mit dem Bahnhof. So richtig zufrieden war mit dem Kompromiss aber niemand und man hat dann doch schon knapp 40 Jahre später offiziell Frieden geschlossen. Dazwischen war das Münchner Abkommen, der Einmarsch Polens im tschechischen Teil Teschens, ein Weltkrieg, Millionen Tote und Vertriebene, die Verschiebung Polens nach Westen. Kurz: europäische Geschichte.
Eines der – zugegeben weniger prominenten und vielleicht auch gänzlich unwichtigen – Opfer der Geschichte war die Strassenbahn von Teschen. Man hat sie 1911 eröffnet um den Bahnhof auf dem einen Ufer mit dem Rathausplatz auf dem anderen Ufer zu verbinden. War vielleicht nicht der beste Zeitpunkt dafür, rückwirkend betrachtet. 1921 nämlich, nach Krieg und Teilung und mit einer Grenze mitten auf der Brücke, war der Betrieb nicht mehr sinnvoll und so hat man die Strassenbahn von Teschen nach gerade einmal 10 Jahren wieder eingestellt. Nach der Wende und dem Beitritt Tschechiens und Polens zur EU hat man die Strassenbahn nicht wieder errichtet (das wäre doch zu schön), aber man hat teilweise wieder Schienen verlegt und an den ehemaligen Stationen im Boden Umgebungspläne eingelassen, die zeigen, was hier einmal war und heute ist. Auf dem polnischen Ufer steht auch eine sehr schön restaurierte alte Strassenbahn, an der vor allem die Kinder ihre helle Freude haben (sie kann bimmeln!).
Wie wohnen gleich beim Bahnhof und sind quasi mit der Strassenbahn ins Stadtzentrum „ǵefahren“. Einen interessanten Mix an Geschäften hat man hier: auf der tschechischen Seite, in Český Těšín, gibt es auf der Hauptstrasse hauptsächlich Alkohol. Auf der polnischen hingegen gibt es alles mögliche, was es halt ein einer Stadt dieser Grösse so gibt, aber nur zu Amtsstunden. Die Geschäfte schliessen nämlich meist um 17 Uhr, manche sogar noch früher und irgendwann hat nur noch der Żabka offen und versorgt die Umgebung mit Bier, Cola und Schokoriegeln. Um 18 Uhr durch die Stadt zu gehen fühlt sich an wie Sonntag Nachmittag in Österreich.
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