Manchmal hat man einfach Glück: beim Rausfahren aus Szeged schauen wir nochmal kurz um die Ecke zur Synagoge, die ja leider an Samstagen und Montagen geschlossen hat, und gerade ist dort am Gartentor eine junge Frau mit einem Schlüsselbund zu Werke. Ob heute doch geöffnet ist? Ja, aber erst in 5 Minuten, sie müssen erst alles aufsperren und fertig machen. Gut, das warten wir doch gerne ab und dann dürfen wir rein in einen Bau, der sowohl von der Aussenseite als auch von Innen so völlig anders aussicht als das Pendant in Subotica. Aussen Historismus mit sowohl romanischen als auch gotischen Elementen, innen mehr Jugendstil, vor allem an den Fenstern, und jede Menge Pflanzenmotive. Der Bau selbst stammt vom berühmten Lipót Baumhorn, einem Ferstel-Schüler, der in allen Teilen der ungarischen Hälfte der Donaumonarchie Synagogen geplant und errichtet hat. An der Inneneinrichtung hat der damalige Rabbiner, Immanuel Löw, wesentlich mitgestaltet und dass der ein Spezialist für die Pflanzen in der Bibel war, sieht man an den Wänden und auch im Garten, wo alle in der Bibel vorkommenden Pflanzen wachsen sollten. Im Klima von Szeged wachsen diese mediterranen Geächse wohl auch alle ganz gut.
Auch an einer zweiten Synagoge kommt man auf dem Weg noch vorbei, doch die hat an Wochendenden und Feiertagen generell nicht geöffnet. Es handelt sich um die Synagoge von Hódmezővásárhely, die in den späten 80er Jahren gerade noch vor dem Verfall gerettet wurde und eine Gedenkstätte in der ehemaligen jüdischen Schule gehört auch dazu. Sie ist von aussen deutlich kleiner, aber auch 50 Jahre älter als die beiden, die wir in den letzten beiden Tagen gesehen haben. Synagogen werden wohl zu einem zentralen Thema unserer Reise, denn auf der geplanten weiteren Route kommen noch ein paar und nachdem es bei uns aus den bekannten Gründen ja keine mehr gibt, müssen wir uns in diesem Bereich auch ein wenig bilden.
Ansonsten war die Fahrt eher langweilig, geradeaus in den Wind, auf einem meist erstklassigen, manchmal aber ein bisserl kaputten Radweg durch die Felder, vorbei an Tankstellen und geschlossenen Einkaufszentren. Der heutige Pfingstmontag erinnert uns an so manche Sonntagskrise im ländlichen Frankreich, auch hinsichtlich Gastronomie, die in Gyula nämlich generell sehr früh schliesst (Kurort!) und zu unserer üblichen Essenszeit gibt es nur noch ein Lokal mit Burger. Die Krise ist sogar so schlimm, dass wir nicht einmal mehr ein Bier kriegen und zum allerersten Mal in unserem Leben morgen die berühmte Frage “hatten sie etwas aus der Minibar?” bejahen müssen. Soproni Bier aus der Minibar – tief sind wir gesunken!
Die “Hundertjährige Konditorei” (Százéves cukrászda) hingegen hatte am frühen Abend noch geöffnet und serviert Schokolade- und Zitronentorte sowie einen tadellosen Capucchino und ein Säckchen Konfekt zum Mitnehmen. Wir haben an diesem Puppenstuben-Kaffeehaus eigentlich nur auszusetzen, dass sie nicht 100 Jahre alt ist, sondern schon seit 1840 existiert, also mehr als 180 Jahre. Den Namen jährlich zu ändern ist allerdings auch ein wenig unpraktisch also nehmen wir es wie den Hundertjährigen Krieg oder die Hundertjährigen Eier als ungefähres Zeitmass. Torte und Konfekt sind die Entschädigung für die ersten hundert und die letzten drei Kilometer der heutigen Tour. Da ist uns nämlich das passiert, was wir zwei Mal erfolgreich vermieden haben: ein Wärmegewitter hat sich eh schon länger angedroht und uns dann kurz vor dem Ziel noch ordentlich erwischt. Damit ist Gyula jetzt Teil eines exklusiven Clubs von Orten, an denen wir bis auf die Sitzpolster nass geworden sind.
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