Die Frage, welche Synagoge wir uns heute ansehen, war schwer zu beantworten, denn sowohl die von Subotica als auch die von Szeged sind herausragende Monumente einer grossteils versunkenen Zeit. Nachdem wir aber wohl so schnell nicht wieder nach Subotica kommen werden, während Szeged von Wien aus doch ganz gut mit dem Zug erreichbar ist, sitzen wir um 9:45 noch einmal im Gastgarten vor dem Kaffeehaus (mein Koffeinspiegel ist auf den paar Hundert Metern vom Hotel schon wieder bedrohlich gesunken) und sind um 10 in der Synagoge. Eine völlig desinteressierte Studentin nimmt uns 250 Dinar pro Nase ab und wir dürfen rein in eine der schönsten ungarischen Synagogen. Ja, das ist eine ungarische Synagoge, erbaut von ungarisch-jüdischen Architekten im Stil des ungarischen Jugendstils für eine ungarisch sprechende jüdische Gemeinde in der ungarischen Hälfte von Kakanien. Heute liegt sie in Serbien, in einer noch immer zweisprachigen Stadt, die vom Baustil, den auch die Synagoge auszeichnet, wesentlich geprägt ist. Dazwischen ist die Geschichte mehrfach über die Batschka gefegt.
Wir sind also drin, in einem beeindruckenden Bauwerk mit seinen über 1000 Sitzplätzen, bunten Glasfenstern, allen Arten von Leuchtern und der in einer goldenen Sonne gipfelnden zentralen Kuppel. Das ganze Gebäude ist innen mit Ornamenten und Pflanzendekor bemalt,eine Heidenarbeit für die Restaurator*innen„ über die man bei Interesse auf der Webseite des Monuments in Serbisch, Ungarisch und Englisch nachlesen kann.
Nach dem Besuch der Synagoge ist es ziemlich bald klar, dass wir die zweite, die nur bis 16:00 geöffnet hat,nicht sehen werden. Dafür aber sehen wir noch einmal die Felder der Batschka, die einmal auch die Anmutung einer kleinen Puszta bekommen mit unbeaufsichtigt weidenden Rindern und einem Hirten, der seine Schafherde zusammenscheucht. Etwa 15 km vor der Grenze beginnt ein Radweg, der Teil des EuroVelo 11 ist und stellenweise bessere Zeiten sehen sollte.
Der Grenzübergang ist nur ein kleiner, Stau gibt es heute auch keinen. Dafür aber einen beeindruckten Grenzer, dessen Grad an Beeindruckung sinkt als wir sagen, dass wir eh mit dem Zug in die Gegend gefahren sind und nicht mit dem Fahrrad von Wien gekommen sind. Dass wir aber die andere Richtung fahren werden, wenn auch noch nicht klar ist, wie genau, haben wir ihm nicht gesagt, man muss ihn ja nicht überfordern ;). Generell dürfte der Job an dieser Grenze kein sehr fordernder sein: Ausweise anschauen, Kofferraum auf und nachsehen, dass eh niemand drin ist, Ausweise retour. Den Rest erledigt ein mehrere Meter hoher Zaun mit Stacheldrahtrolle am Boden und an der Oberkante, der in beiden Richtungen reicht soweit wir sehen können. Willkommen in der Festung Europa, wenn du den richtigen Pass hast!
Am Bahnhof von Szeged sind wir vor 10 Tagen nur angekommen, heute gehen wir hin um ihn zu besichtigen. Ein sehr eleganter Backsteinbau, an dem zwar nicht mehr so viele Züge ankommen, der aber umso liebevoller gepflegt wird. Blumenschmuck gehört an ungarischen Bahnhöfen zum Standardprogramm. Die Betongefässe sind keine Schönheiten, aber was mit Betunien, Pelargonien und Co. gefüllt ist, sieht gleich viel besser aus. Im ersten Stock gibt es einen Leseraum, ein Buffet und eine kleine Ausstellung mit Modellbahn und Exponaten aus der Eisenbahngeschichte. Die Kolleg*innen von der MAV tun sich da schon was an!
Auf dem Rückweg vom Bahnhof stolpern wir noch über ein besonders merkwürdiges Bauwerk der Stadt: das “Tor der Helden” gedenkt am Platz der Märtyrer von Arad der 12.000 Gefallenen aus Szeged im Ersten Weltkrieg. Das Tor, durch das Autos und die Strassenbahn fahren, trägt Deckenfresken aus den späten 30er Jahren, die die Schrecken des Krieges mit dem zeittypischen Pathos darstellen. Abel Gances Film “J’accuse” mit seinem Marsch der Toten taucht vor meinem inneren Auge auf. Links und rechts “bewacht” wird es von einem lebenden und einem toten Soldaten. Nachdem die Fresken während der kommunistischen Zeit übertüncht waren, wuden sie erste in den letzten Jahren restauriert.
Schreibe einen Kommentar