Eigentlich ist es noch immer viel zu heiss für Städtetourismus, bei 30 Grad durch die aufgeheizte Stadt zu spazieren, das mag der Kreislauf nicht so gerne. Stadtbesichtigungen Ende August/Anfang September konnte man vor dem Klimawandel machen, das ist wohl vorbei. Heute sind auch um 22 Uhr noch Menschen in Kurzen Hosen, mit Sommerkleidchen und Sandalen unterwegs, eigentlich wie am Mittelmeer in einem der Badeorte. Weil es eben keinen Spass mehr macht in der Stadt herumzuwandern und wir ja eigentlich auf Radreise sind, fahren wir heute aufs Land. Durch Zufall irgendwo im Internet gefunden: es gibt hier ein Tal mit spektakulären Felsformationen, aus dem man einen Rundkurs basteln kann. Kennen wir nicht, dort fahren wir hin.
Wir verlassen Kraków auf tadellosen Radwegen, auf denen keine Radfahrenden zu sehen sind, durch Reihenhaussiedlungen, in denen das Auto Familienanschluss direkt vor dem Haus hat (die Stadt ist zu Recht für ihre Altstadt berühmt und nicht für ihre Neubaugebiete aus den letzten Jahren), dann die ersten Felder, die Häuser werden weniger und auf einmal sind wir in einem schattigen Tal. Ein Flüsschen schlängelt sich in Richtung Weichsel, wir nehmen die andere Richtung und staunen darüber, was ein bisserl Wasser und ein sehr viel Zeit an Schönheit zuwege bringen können. Das Tal ist Teil des Nationalparks Ojców, des kleinsten der polnischen Nationalparks. Ojców ist schon jenseits der ehemaligen Grenze zwischen dem Habsburgerreich und Kongresspolen (russiches Zarenreich) gelegen. Spielt heute natürlich keine Rolle mehr, aber uns war nicht bewusst, dass diese Grenze quasi gleich hinter Kraków war.
Nach der Rückkehr in die Stadt gibt es die obligatorische Runde durch Kazimierz, ehemals von den polnischen Königen gegründetes polnisches Gegengewicht zum zeitweise deutsch dominierten Krakau. Hier gab es auch ein jüdisches Viertel und vor dem deutschen Überfall auf Polen rund 60.000 jüdische Bewohner*innen. Das aus Filmen wie „Schindlers Liste“ bekannte Ghetto befindet sich allerdings nicht in Kazimierz, das wurde auf der anderen Seite des Flusses eingerichtet. Kazimierz hat noch immer sieben Synagogen, von denen heute zwei noch in Verwendung sind. Eine davon, die Remuh-Synagoge aus der Renaissancezeit, haben wir uns angesehen, ein überraschend kleines Gebäude mit dicken, reich verzierten Mauern, innen Malerei, aussen Gedenktafeln an die Shoah. Der alte Friedhof, schon zu kakanischen Zeiten stillgelegt, in der NS-Zeit verwüstet, liegt hinter der Synagoge. Zwischen Brennesseln und Bärenklau Jahrhunderte alte Grabsteine, die Friedhofsmauer besteht aus den Fragmenten der zerstörten Steine. Für die noch ältere „alte Synagoge“ und ihre Ausstellung zur jüdischen Geschichte Krakóws waren wir leider zu spät dran, die gab es nur noch von Aussen zu sehen.
Insgesamt ist mir die Stadt ein wenig zu sehr auf Massentourismus ausgelegt mit ihren Fiakern und Bierlokalen und Souveniershops. Hinter dem Florian-Tor ist dann plötzlich wieder Ruhe. Diesem Tor vorgelagert ist ein runder Befestigungsbau mit Schiessscharten und Graben, den man „Barbakane“ nennt und dessen Funktionsweise wir uns zunächst nicht erklären konnten. Google hilft aber auch hier: die Barbakane aus dem späten 15. Jahrhundert war zur aktiven Verteidigung gegen die Feuerwaffen der Osmanen(!) gedacht, d.h. man hat oben Kanonen platziert. Zu Friedenszeiten war es eine Art vorgelagertes Stadttor.
Hinter der Barbakane befindet sich ein grosser Platz, der uns an Frankreich denken lässt. In der Mitte darauf das Grunwald-Denkmal. Die Schlacht von Tannenberg 1410 zwischen dem polnischen Heer und dem des Deutschen Ordens heisst hier in Polen Schlacht von Grunwald. Die polnischen Streitkräfte haben gewonnen, was langfristig das Ende der Herrschaft des Ordens bedeutete. Zum 500. Jahrestag ein Denkmal zu errichten, lag nahe. Die Einweihung des Denkmals mit 150.000 Teilnehmer*innen war auch eine Demonstration gegen die anti-polnische Politik Preussens und dort war man „not amused“ darüber, dass Wien Galizien einfach so machen liess. Nicht einmal 30 Jahre später war das Denkmal schon wieder zerstört, gesprengt von den deutschen Besatzern. Nach dem Krieg folgte dann der Wiederaufbau, ein sehr hübsches Fotomotiv ist es geworden, aber (auch) an diesem Denkmal kann man die unterschiedliche Erinnerungskultur Europas sehen: in Österreich hat Tannenberg keine besondere Bedeutung.
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