Heute haben wir das Fahrrad mit dem Flügelrad vertauscht und sind mit Métro und Zug nach Longueville gefahren. Die grösste Herausforderung beim Zugfahren in Frankreich ist bekanntlich die die richige App zu verwenden bzw. in unserem Fall, weil sich die uns bekannten Apps weigern einen Fahrschein nach Longueville zu verkaufen, einen kooperationswilligen Fahrkartenautomaten zu finden. Es ist ja nicht so, dass es an der Gare de l’Est an Fahrkartenautomaten mangeln würde, im Gegenteil, die ganze Halle ist vollgestellt mit den Dingern in allen Farben, aber jeder verkauft etwas anderes, einen gemeinsamen Automaten für ‚ich will von A nach B‘ gibt es nicht.
Wenn man dann aber mit Ticket im richtigen Zug sitzt, dauert es nur ca. 1 Stunde und man ist in einer anderen Welt, in einer Kleinstadt irgendwo in der Île-de-France, in der sich 1968 vielleicht keine Revolution ereignet hat, aber ganz fad war es auch nicht, denn es haben sich ein paar Eisenbahnfreaks zusammengefunden und die „Association de jeunes pour l’entretien et la conservation des trains d’autrefois“ gegründet. Sie haben damals, am Ende des Dampfzeitalters angefangen alte Züge zu retten und zu restaurieren und die kann man sich jetzt am Sonntagnachmittag ansehen. Einen geordneten Museumsbetrieb darf man sich aber nicht erwarten, es ist eher eisenbahnmusealer Anarchismus, wo man den Mann mit der Kassa erst suchen muss um ein paar Euro Eintritt zu bezahlen, dann einen laminierten Zettel mit Beschreibungen in die Hand gedrückt bekommt und mit detailierten Verhaltensregeln („Passt auf, wo ihr hinsteigt!“ und „Wenn wo eine Leiter ist, kann man da raufklettern, sonst bitte nicht!“) auf den Weg durch Rundschuppen und Freigelände geschickt wird. Es gibt ein paar alte Loks, Waggons, eine fast komplette Garnitur eines Nachtzugs, den Rundschuppen, diverses Kleinzug und als neuestes Projekt eine französische Dampflok aus der Spätzeit, die schon mit automatischer Kohleförderung ausgestattet war. Die wird aber noch ein paar Jahre Arbeit und einiges an Geld benötigen bis sie wieder in halbwegs ansehnlichem Zustand ist (https://www.ajecta.fr/?page_id=38).
Von Longueville ist es ein Katzensprung nach Provins. Das ist etwas grösser (11.000 EW) und wegen seiner ausserordentlich gut erhaltenen mittelalterlichen Oberstadt auch deutlich touristischer. Also im Sommer dann, nicht im März bei Nieselwetter, aber die Infrastuktur an Lokalen, Museen etc. ist vorhanden. Im Hochmittelalter war Provins eine bedeutende Stadt der Champagne und hatte grosse Pläne, unter anderem für eine Kirche, deren Schiff in etwa die Ausmasse von Notre-Dame in Paris erreicht hätte, hätte man es denn fertig gebaut. Dazu ist es aber nicht gekommen, weil die Stadt an Bedeutung (und Geld) verloren hat und im 16. Jhdt. hat man dann einfach das Langhaus nach dem kleinen Stück, das schon vorhanden war, mit einer Mauer abgeschlossen. Türme gibt es nicht und nachdem die Kirche einmal abgebrannt ist und die Vierung mit einer neuen Kuppel versehen worden ist, gibt es da heute eigentlich nur einen Chor als Kirche, die von der Ferne nicht sehr gotisch aussieht. Drinnen ist es aber durchaus gotisch und obendrein saukalt und leer wie immer in solchen, nur von ein paar Votivkerzen geheizten Gebäuden. Die Stadt selber wäre, wenn man von den erheblichen Steigungen absieht (die Oberstadt heisst so, weil sie oben liegt), genau in unser „Beuteschema“ bei Radreisen gefallen: passende Grösse, reiche Geschichte, historische Bausubstanz, Steinhäuser wechseln mit Fachwerk ab, ein schönes Stück mittelalterlicher Stadtmauer, ein Hôtel Dieu und einen Donjon hat man auch und wenn man auch nur einen Funken von wirtschaftlichem Verstand hat, so gibt es hier im Sommer ein Mittelalterfest.
Zurück mit dem Zug zur Gare de l’Est, Flammkuchen als Abendessen und dann noch einen „kleinen“ Spaziergang für „ein paar“ Fotos. Füsse hoch.
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