Wie es aussieht, ist diese Reise morgen vorzeitig zu Ende. Sadie, eine unserer Katzen, ist über den garantiert ausbruchsicheren Balkon entkommen. Nicht das erste Mal, aber diesmal haben wir geglaubt, dass er jetzt wirklich keine Möglichkeit mehr bietet zu durchzuschlüpfen ohne esoterische physikalische Effekte anzuwenden. Also Sadie, falls du das liest – wir wissen ja, dass du gerne liest – bitte sei so gut und komm nach Hause. Wir machen uns wirklich Sorgen und du verdirbst uns den Urlaub. Wenn du bis morgen 8 Uhr wieder da bist, können wir weiterfahren, wenn nicht, dann müssen wir wohl oder übel einen Zug besteigen. An die p.t. Leser*innen: bitte an geeigneten Stellen die Ausdrücke „kleines Ḿistviech“ und „Fell über die Ohren“ ergänzen, ihr wisst selber am besten, wo.
Wegen des dauernden Ostwindes haben wir den heutigen Ausflug mit dem Zug begonnen und sind in die kleine Stadt Chełm gefahren. Diese Stadt war ebenso wie Lublin ein Zentrum der jüdischen Kultur vor der Shoah (Note to self: mehr Isaac Bashevis Singer lesen, vor allem die Sachen, die in Chełm angesiedelt sind), heute ist davon nur eine kleine Synagoge übrig und eine Stadt, die irgendwie so unfertig aussieht oder noch nicht ganz restauriert nach Beschädigungen im Krieg, mit einem Mix aus alten und neuen Gebäuden und einem sehr ansehnlichen Hauptplatz. Auch der Bahnhof ist wahrlich keine Schönheit, aber darauf kommt es auch im Moment nicht an. Chełm liegt am Ende der Breitspurtrasse aus der Ukraine und hat 2 Zugpaare von/nach Kyiv pro Tag.
Zurück nach Lublin fahren wir durch die trockene, leicht hügelige Landschaft. Uns fehlt ja der Vergleich mit „normalen“ Jahren, aber wenn es im Weinviertel so aussieht, spricht man durchaus von einem sehr trockenen Jahr, auch wenn der Boden hier recht sandig zu sein scheint und schon allein deshalb staubig wirkt. Wir kaufen in einem Supermarkt Mittagessen ein, der aussieht als wäre er in der Zeit des „Ostblocks“ steckengeblieben, und später ein kaltes Cola in einem anderen, der auch eine Getränkehandlung hätte sein können: 40 Sorten Wodka! Regalmeterweise gekühltes Bier! Georgischer Wein! Ich weiss sowas übrigens nicht, weil es mich beim Radfahren nach Bier gelüstet, sondern weil ich hierzulande in jedem Supermarkt jeden Kühlschrank nach Cola durchsuchen muss, das ist gut vor der Kundschaft versteckt. Wir kommen an einem unglaublich hübschen Bahnhof vorbei: komplett aus Holz gebaut und 150 Jahre alt (vgl. Foto). Leider ist der Warteraum mit Schalteröffnungen in den Wänden nicht mehr in Betrieb und das restliche Gebäude dürfte heute auch Wohnungen enthalten, aber trotzdem haben wir dafür einen (ok, nicht allzu langen) Umweg in Kauf genommen, den wir nicht bereut haben.
Der Weg in die Stadt verläuft teilweise auf tadellosen Radwegen mit wenig Radverkehr und teils auf Strassen, leider mit viel Autoverkehr. Abschnittsweise dient auch ein Gehsteig als Radweg und zwei Mal verlassen wir den Radweg versehentlich, weil wir nicht mitgekriegt haben, dass er nach der Kreuzung noch existiert. Der Radweg führt direkt am Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek vorbei, das auf Stadtgebiet liegt. Das hätten wir uns gerne angesehen, es ist heute eine Gedenkstätte und ein Museum. Sadie, langsam wirds Zeit wieder heimzukommen!
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