Tag 7: Birštonas – Trakai

⌴ 89.5km ⋅ ◿ 667hm ⋅ ◺ 561hm ⋅ ⤓ 45m ⋅ ⤒ 192m ⋅ ◷ 5:05:33  ⋅ Σ 542km

Litauen ist kein Land der Berge, wirklich nicht! Die höchste Erhebung ist gerade einmal 294 m hoch, da kann man gerade mal von Hügeln sprechen, aber dennoch sammeln wir heute auf knappen 90 km fast 700 Höhenmeter, denn es geht ständig rauf und runter, wenn auch nicht sehr steil. Steigungen und Gefälle werden fein säuberlich auf Verkehrszeichen angekündigt, auch solche mit gerade mal 6 oder 7 Prozent. Alles sehr ordentlich, nur beim Bier herrscht Verwirrung. Nicht nur, dass man nach 20 Uhr Alkohol nur noch in Lokalen zu kaufen kriegt (Sorry, kein Tankstellenshop!), es kommt auch noch in verwirrenden Mengen an den Tisch. Ein grosses Bier enthält 0.41 Liter. Ja, Null komma Einundvierzig. Warum Einundvierzig? Ich weiss es nicht und ich fürchte, dass ich das auch garnicht wissen will. Es gibt auch Dosenbier in Pint-Grösse, also imperialen 568 ml, wobei die Dosen dann einfach ein wenig länger sind und somit die Stirnreihe im Kühlregal durcheinander bringen. Man gehört hierzulande der osteuropäischen Zeitzone an, was den Vorteil hat, dass es abends ein wenig länger hell ist. Dagegen also keine Einwände. Aber warum um alles in der Welt fängt man bei der Zählung der Stockwerke bei 1 für das Parterre an wie in den USA, wenn man doch britische Pints serviert? Ich bitte um etwas mehr Konsistenz. Da sind off-by-one Errors am Bedienfeld des Lifts quasi vorprogrammiert.

Nach unserer Tour durch die zunehmend hügelige Landschaft sind wir heute in Trakai gelandet. Das ist eine kleine Stadt mit einer absolut genialen Lage zwischen gleich drei Seen ungefähr 30 km von Vilnius entfernt. Lage am See heisst in diesem Zusammenhang wirklich Ufer und einer dieser Seen beherbergt auf einer Insel die Burg von Trakai, die Scharen von Touristen hierher lockt. Gehört anscheinend zum Pflichtprogramm einer Tour durchs Baltikum, wie man am vielfältigen Sprachenmix in den Gassen hier merkt. Gassen heisst hier übrigens weiterhin nicht das, was man in Mitteleuropa darunter versteht, denn auch diese Stadt wirkt irgendwie dörflich mit vielen kleinen Holzhäusern, alle frei stehend mit einem eigenen kleinen Garten, meist ohne Gartenzaun. Das gilt auch für das Viertel der Karäer, deren Zentrum Trakai neben Vilnius ist. Falls ihr euch jetzt auch fragt, was denn bitteschön “Karäer” sind: es handelt sich dabei um eine Gruppe eines Turkvolkes von der Krim, von dem der litauische Grossfürst Ende des 14. Jahrhunderts ein paar Hundert Familien nach Litauen eingeladen hat, u.a. um sie als seine Leibwache einzusetzen, denn den Einheimischen war zu dieser Zeit nur bedingt zu trauen. Solche Wanderungen waren in der Geschichte nicht selten anzutreffen, doch was diese hier besonders macht, ist, dass die Karäer einer etwas speziellen Version des jüdischen Glaubens anhängen, die sich als reine Buchreligion versteht und die überlieferte Tradition nicht anerkennt. Sind das überhaupt Juden, fragte man sich jahrhundertelang und diese Frage wurde sogar von den Nazis mit Nein beantwortet, als man im Krieg in der Sowjetunion die mit den Karäern nahe verwandten Tartaren gut gebrauchen konnte. Dass der polnisch-jüdische Historiker, das das entsprechende Gutachten verfasst hatte, danach im Ghetto von Warschau ums Leben gekommen ist, ist dann fast nur noch eine Fussnote zu einer von vielen tragischen osteuropäischen Geschichten. Diese Geschichte wird wohl in ein paar Jahrzehnten zu Ende gehen, denn es leben in Litauen gerade noch ein paar Hundert Sprecher*innen des Karäischen, nebst einigen weiteren in Israel und den USA.

Die Fotos

Die Strecke

Fediverse-Reaktionen


Eine Antwort zu „Tag 7: Birštonas – Trakai“

  1. eva

    sehr schön

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