Für Faschingsnarren, Karnevalsjecken und Freund*innen der Fasnacht ist die Zeit zwischen Februar und Februar eine lange. Ein ganzes Jahr ohne die geliebte Festivität, das stelle ich mir schon hart vor, aber wenn der Entzug zu stark wird, dann gibt es in Banja Luka Erleichterung: hier gibt es einen Karneval im Mai und eigentlich ist das doch generell keine so schlechte Idee. Wer will den schliesslich bei Minusgraden im Samba-Kostüm durch die Strassen ziehen oder im Nieselregen traurig herunterhängende Federkronen tragen? Das geht in Brasilien schon besser oder eben in Bosnien im Mai. Und so wuseln orange-schwarze Spinnen über die Hauptstrasse, eine Tanzgruppe in neon-pink, eine Gruppe älterer Damen im Kostüm der New Yorker Freiheitsstateu (die Stacheln der Kopfbedeckung bestehen aus Kabelbindern), eine Trachtengruppe aus Štajerska (in Slowenien) spielt Um-ta-ta in Dauerschleife und über ein paar der Kostüme breiten wir den Mantel des Schweigens, denn politisch korrekt waren die wahrlich nicht.
Politisch mag Banja Luka weniger grün sein, aber sonst ist es die Stadt allerdings: Alleen, Parks, Bäume, wohin man schaut. Gefällt uns sehr gut und dominiert die Stadtansicht so sehr, dass ich im Moment nicht einmal sagen könnte, was hier der vorherrschende Baustil ist. Sogar einen Radweg hat man von der Stadtgrenze bis zum Hauptplatz für uns gebaut, genauer gesagt eine „protected bikelane“ mit Kunststoffpollern und wenn ich sage „für uns“, dann ist das auch so zu verstehen, denn ausser uns war auf dem Radweg beim Reinfahren sonst niemand unterwegs. Auch später haben wir den Eindruck gewonnen, dass er entweder noch sehr neu ist oder die Radfahrenden an der Hauptstrasse gewohnheitsmässig auf dem Gehsteig unterwegs sind (was übrigens niemand stört).
Radinfrastruktur gab es sonst heute keine, dafür aber bis auf ein paar Kilometer jede Menge wenig befahrener und nicht allzu löchriger Nebenstrassen. Das ganz löchrige Stück wird derzeit übrigens neu gebaut, aber für uns sollte das kein Problem sein, wir sollen einfach auf dem Gehsteig an der Baustelle vorbeifahren, erklärt uns der zur Verdeulichung des Umleitungsschildes abgestellte Bauarbeiter – auf Deutsch. Auch sonst dürften im Moment hier sehr viele Deutschsprachige unterwegs sein, wenn man nach den Autokennzeichen gehen kann. Wer immer schon mal wissen wollte, wie schön Wien ohne Wiener wirklich ist, hat dieses Wochenende die Gelegenheit das herauszufinden, die Wiener kurven nämlich gerade alle hier in Bosnien herum.
Dass wir hier in Bosnien sind, will man uns gerne vergessen lassen. Auch hier ist alles, was die interntionale Politik nicht anders geregelt hat, serbisch bezeichnet, beschriftet und beflaggt, die drei Milizionäre mit Maschinengewehr und gepanzertem Fahrzeug, die die Karnevalsparade bewachen sollten, eingeschlossen (nein, ich fühle mich nicht sicherer, wenn neben mir drei Mann mit MG stehen). Die jüngere Geschichte und Erinnerungskultur der ex-jugoslawischen Länder gäbe wohl Stoff für mehrere akademische Karrieren. Auf Schritt und Tritt wird man auf die Verbrechen und die Opfer der einen wie der anderen Seite gestossen, heute waren es das Massaker an mehr als 2000 serbischen Zivilist*innen durch die Ustascha im Jahr 1942, die Zerstörung der orthodoxen Kirche im Zweiten Weltkrieg und der Moscheen im Bosnienkrieg sowie ein Denkmal für ein Dutzend Babies, die im Krankenhasu sterben mussten, weil der benötigte Sauerstoff im Krieg nicht geliefert werden konnte.
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