Aus Zagreb wieder rauszufahren war bedeutend einfacher und entspannter als der Weg in die Stadt im gestrigen Stossverkehr. Zuerst durch das Labyrinth der Wohnviertel, dann etwas, das mit seinen Glashäusern und diversen Gewerbebauten an Simmering erinnert und dann auf einem vorbildlichen Radweg ins Umland. Ab hier ist es vorbei mit der radfahrerischen Anarchie, es kehrt wieder geordnetes Landleben ein. Gemütlich schlängelt sich der Weg durch die von der Save geformte Ebene und nachdem die keine Siedlungsformen vorgibt, finden sich die Häuser einfach irgendwo, d.h. meistens entlang der Strasse. Die einzige grössere Stadt auf der heutigen Etappe ist Sisak und hier stellt sich für mich die Frage, ob ich bei jedem der Orte, durch die wir durchfahren, die Ereignisse und Opferzahlen der letzten Kriege nennen soll. In Sisak wäre das ein von der Ustascha betriebenes Konzentrationslager für Kinder, in dem Tausende Kinder ermordet wurden, in einem Teil der heutigen Gemeinde Kozarska Dubica befand sich eine Hinrichtungsstätte des KZ Jasenovac, ebenfalls Tausende Ermordete.
Wir folgen auf den ersten beiden Dritteln etwas, das sich Save-Radweg nennt und hauptsächlich aus sporadisch angebrachten blau-weissen Schildern besteht, aber ohne Navi nicht zu finden wäre. Meist geht es hinter dem Hochwasserschutzdamm durch die Dörfer, einmal erscheint eine Gravelpassage unvermeidlich. Die bringt uns einen Umweg von insgesamt 10 km ein, denn der Weg endet buchstäblich im Wald. Also zurück auf die Strasse und über die Save, wir können es ja eh nicht ändern, werden es halt 133 km statt 123. Nachdem wir die Save dann mit einer Fähre überquert haben, wird die Gegend noch dünner besiedelt bis wir die letzten ca. 30 km gleichsam durch ein einziges Strassendorf fahren, ein sehr spezielles Strassendorf allerdings, denn hier steht mehr als die Hälfte der Häuser leer und/oder befindet sich in irgendeinem Stadium des Verfalls. Leer stehende Häuser sind uns schon auf den Kilometern davor en masse aufgefallen, vor allem die alten Holzhäuser entsprechen heute wohl oft nicht mehr den Ansprüchen an Komfort und stehen leer, einige allerdings sind fachkundig und liebevoll renoviert worden und von Gärten mit Feigen- und Zwetschgenbaum sowie Pfingstrosen umgeben. Hier auf unseren letzten Kilometern aber sieht man das Resultat von weit reichenden „ethnischen Säuberungen“ im kroatischen Unabhängigkeitskrieg: Ruinen, leer stehende Häuser, keine Infrastruktur mehr, ein Bezirk, der fast die Hälfte seiner Bevölkerung verloren hat, die nach 30 Jahren auch nicht mehr zurückkommen wird.
Auf der anderen Seite der Grenze, im serbischen Teil Bosniens, liegt Kozarska Dubica. Auch hier während des Bosnienkrieges Vertreibungen und Kriegsverbrechen, alle Moscheen der Stadt gesprengt, dann gegen Ende des Krieges ein Versuch der kroatischen Armee die Stadt zu besetzen. Heute, fast 30 Jahre später, gibt man sich hier sehr serbisch mit kyrillischen Lettern und der serbische Präsident lacht von der Plakatwand. Die Moscheen sind wieder aufgebaut, auch wenn die muslimische Bevölkerung nur noch einen Bruchteil ihrer alten Zahl erreicht.
Nach 130 km sind wir einfach nur noch müde, checken ins Hotel ein und suchen uns in der kleinen Fussgängerzone ein Restaurant. Morgen werden wir auf dem Weg nach Banja Luka feststellen, ob uns dieser Teil von Bosnien und Herzegowina gefällt. Auffallen werden wir jedenfalls weiterhin, denn mit dem Rad gefahren wird hier zwar, aber Radreisende haben wir heute komplett vermisst.
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