Tag 2: Bru­xel­les – Schaarbeek

Σ 3km

Heu­te 0 Rad­ki­lo­me­ter, dafür aber end­lich mal Stras­sen­bahn­ki­lo­me­ter, wenn auch nicht all­zu vie­le. Schaar­beek ist näm­lich nur weni­ge Kilo­me­ter von unse­rem Hotel ent­fernt und eigent­lich hät­ten wir auch zu Fuss gehen kön­nen. Stras­sen­bahn gibt es hier in zwei Vari­an­ten, einer älte­ren, die aus­sieht wie eine Tatra, und einer neu­en Nie­der­flur­va­ri­an­te, die nicht nur als Zwei­rich­tungs­fahr­zeug aus­ge­führt ist, son­dern auch noch gele­gent­lich auf der lin­ken Sei­te die Türen öff­net – nach aus­führ­li­chem Hin­weis auf die fal­sche Sei­te und den erheb­li­chen Spalt zwi­schen Fahr­zeug und Bahn­steig­kan­te in drei Sprachen.

So weit war man frü­her in der Eisen­bahn­si­che­rung nicht, aber man hat in fast 2 Jahr­hun­der­ten bei zahl­rei­chen Eisen­bahn­un­fäl­len und ‑unglü­cken dazu­ge­lernt. Fast 2 Jahr­hun­der­te umspannt auch die Aus­stel­lung in der Train World, dem seit 2015 im ehe­ma­li­gen Bahn­hof Schaar­beek unter­ge­brach­ten Muse­um der staat­li­chen bel­gi­schen Eisen­bahn, der SNCB. Bel­gi­en war näm­lich das kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­sche Land, das am frü­hes­ten die noch neue Tech­no­lo­gie “Eisen­bahn” ein­ge­führt hat, zwar mit impor­tier­ten Loko­mo­ti­ven, aber schon mit einem natio­na­len Eisen­bahn­ge­setz und ers­ten Ideen für einen Netz­plan. Allen, die heu­te mei­nen, dass man neue Tech­no­lo­gie ja uuuuuun­mög­lich regu­lie­ren kann, sei das ins Stamm­buch geschrieben!

Man betritt den alten Bahn­hof durch einen Sei­ten­ein­gang und folgt einem lan­gen Gang in die alte Schal­ter­hal­le, in der nicht nur die Schal­ter und eine Rei­he wun­der­schön gear­bei­te­ter Modell im For­mat 1:10 aus­ge­stellt wer­den, son­dern auch zwei aus­ge­stopf­te Ele­fan­ten. Dar­über segelt ein eben­falls aus­ge­stopf­ter Adler – hät­ten sie den zu Betriebs­zei­ten des Bahn­hofs gehabt und in leben­dig, es hät­te sich unter Garan­tie nie eine Tau­be in die Bahn­hofs­hal­le getraut.

Die Tie­re ver­wei­sen auf eine im sel­ben Muse­um statt­fin­den­de Aus­stel­lung, die einer­seits Taxi­der­mie und Tier­mo­del­le zeigt und ande­rer­seits auf den Ver­lust der Bio­di­ver­si­tät auf unse­rem Pla­ne­ten ver­weist. Unge­fähr im sel­ben Zeit­raum, in dem die Eisen­bahn ihren Auf­stieg und ihre Blü­te­zeit erleb­te, ist es mit der Bio­di­ver­si­tät auf dem Pla­ne­ten berg­ab gegan­gen, in den letz­ten Jahr­zehn­ten zuneh­mend schnel­ler. Und jetzt wird die Eisen­bahn zu einem der Fak­to­ren, die viel­leicht noch etwas aus­rich­ten kön­nen im Kampf gegen Arten­schwund und Kli­ma­wan­del. Im Muse­um sit­zen also Kaka­dus auf Gelän­dern, ein Leo­pard wech­selt ver­stoh­len auf den ande­ren Bahn­steig und sogar einen Del­phin hat man unter­ge­bracht. Irgend­wie cool. Als Aus­stel­lungs­kon­zept aber ist das höchst ver­wir­rend und wir haben die Vie­che­rei gross­teils igno­riert, denn der dau­ern­de Kon­text­wech­sel ist uns ein­fach zu anstrengend.

Was gibt es also zu sehen? In den Hal­len hin­ter der alten Kas­sen­hal­le wer­den Loko­mo­ti­ven und ein paar Wag­gons nach Epo­chen grup­piert aus­ge­stellt, in hohen Räu­men mit schwar­ze Wän­den kunst­voll mit Licht in Sze­ne gesetzt wie Skulp­tu­ren. Tex­te gibt es weni­ge, die aber gleich in vier Spra­chen, den drei Lan­des­spra­chen und Eng­lisch, und einen Audio­gui­de per Smart­phone hat man auch. 

Die Früh­zeit der Dampf­loks bil­det das The­ma des ers­ten Rau­mes. Hier steht der “Ele­phant”, eine der ers­te bel­gi­schen Loko­mo­ti­ven, ein Zeit­ge­nos­se des deut­schen “Adlers”, wie im DB-Muse­um in Nürn­berg eine Replik des schon lan­ge ver­lo­ren gegan­ge­nen Ori­gi­nals, und wie die­ser ursprüng­lich ein eng­li­sches Import­pro­dukt. Die­ses Denk­mal bel­gi­scher Eisen­bahn­ge­schich­te hat man im Raum erhöht auf rund 4 Meter über dem Boden unter­ge­bracht. Ehr­fürch­ti­ges Nach-Oben-Schau­en ist ange­sagt. Der Rest der Expo­na­te ist boden­stän­di­ger, was auch an der Far­be liegt. Die Far­be der SNCB war lan­ge Zeit ein Milch­scho­ko­la­de­braun, nicht das ver­brei­te­te und prak­ti­sche Schwarz.

Was hat man noch? Die ers­ten Schie­nen­bus­se wer­den gewür­digt, die im Land der Vicinals, der Lokal­bah­nen, auch in den kri­sen­ge­beu­tel­ten 30ern einen kos­ten­ef­fi­zi­en­ten Lokal­bahn­be­trieb ermög­lich­ten. Die­sel war ein­fach bil­li­ger, leich­ter zu hand­ha­ben (kein Vor­hei­zen), aus­ser­dem reicht da ein Fah­rer statt Fah­rer und Hei­zer. Dass man in so einem Fahr­zeug jeden Schalt­vor­gang des Vier­gang­ge­trie­bes gespürt hat und es auch kei­ne Toi­let­te gab, muss­te man in Kauf neh­men. Eben­falls aus prag­ma­ti­schen Grün­den hat man in Bel­gi­en sehr früh Wochen­kar­ten für Berufs­tä­ti­ge ein­ge­führt. Es gab ein­fach in den Indus­trie­städ­ten zu weni­ge Woh­nun­gen, war­um also nicht die Arbei­ter woh­nen las­sen, wo sie ohne­hin schon woh­nen und per Vicinal in die Fabrik oder ins Berg­werk trans­por­tie­ren? Man muss­te dann nur noch Fahr­plan und Arbeits­zei­ten auf ein­an­der abstimmen.

Das Prunk­stück der Samm­lung ist sicher die “Type 12”, eine strom­li­ni­en­för­mi­ge Dampf­lok, die nur in den Jah­ren 1938–39 gebaut wur­de und mit 165 km/h Rekord­ge­schwin­dig­keit das “Blaue Band” gewon­nen hat und sowohl den Höhe­punkt als auch den Schluss­punkt des bel­gi­schen Dampf­lok­baus dar­stell­te. Sie erin­nert mich an die deut­sche Rekord­lo­ko­mo­ti­ve, die man im DB-Muse­um in Nürn­berg bewun­dern kann: bei­de strom­li­ni­en­förmg ver­klei­det, die eine wein­rot lackiert, die ande­re dun­kel­grün. Die deut­sche Lok war mit 200 km/h schnel­ler als die bel­gi­sche, aber wo will man in so einem klei­nen Land auch so schnell hin­fah­ren, da ist man doch gleich wie­der draussen?

Was gibt es noch? Elek­tro-Trieb­wa­gen, Trans Euro­pe Express, Schlaf­wa­gen (auch den des Königs), ein gan­zes Eisen­bah­ner-Haus mit Ein­rich­tung im Stil der 50er Jah­re und für alles, was man sonst nicht unter­ge­bracht hat, gibt es den “Gre­ni­er fer­ro­vi­ai­re”, den eisen­bah­neri­schen Dach­bo­den mit Signa­len, Tele­fo­nen, den Holz­bän­ken der drit­ten Klas­se, Glas­fens­tern aus frü­he­ren Bahn­hofs­bau­ten und Model­len, Model­len, Model­len. Über­all detail­ver­lieb­te 1:10 Model­le, die Schü­ler der SNCF-Schu­len gebaut haben um Fahr­zeug­tech­nik zu lernen.

Falls es bis jetzt noch nicht klar ist: wir emp­feh­len das Muse­um natür­lich allen Fer­ro­phi­len, aber auch die Kin­der in unse­rem Umfeld hat­ten Spass an den vie­len Expo­na­ten, die man auch erkra­xeln kann. Ein­zi­ger Malus­punkt: die Loko­mo­ti­ven sind so sau­ber und schön restau­riert, dass sie wirk­lich fast wie Kunst­wer­ke auf uns wir­ken, und der typi­sche Geruch nach Koh­le, Stein­koh­le­teer und Schmier­fett fehlt kom­plett. Dou­ze points.

Die Fotos


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