Das Wetter hier fühlt sich an wie so mancher Spätherbst in Wien. Das soll niemand aus unserer p.t. Leser*innenschaft dazu verleiten Ende Oktober ein Wochenende in Wien verbringen zu wollen, oder nein, kommt ruhig mal vorbei, aber beschwert euch dann nicht bei, wenn es hier nicht 13 Grad hat und man in der Sonne noch einen Kaffee auf der Terrasse trinken kann. Wir geben nämlich keine Garantie auf Altweibersommer! Dafür beschweren wir uns aber auch nicht, dass es hier im August in Vilnius heute nur 13 Grad hatte und mindestens vier mal heftige Regenschauer. So ist das halt, wenn man nahe der Küste ist und der Westwind alle paar Stunden mal ein paar anthrazitfarbene Wolken vorbei schickt, die auf dem Weg auch kein Berg mehr aufhalten kann, denn wo nichts ist, dort kann auch nichts aufgehalten werden.
Keine Beschwerden also übers Wetter, sehrwohl aber darüber, dass auch hier in Litauen das ungeschriebene Museumsgesetz Europas gilt: Museen haben am Montag zu. Da es aber keine Regel ohne Ausnahme geben darf, haben doch ein paar offen, aber leider nur solche, die uns weniger interessieren. Da sind wir dann froh, dass wir in einer Stadt sind und nicht auf Museen angewiesen. Zwischen den Regengüssen besuchen wir also ein paar religiöse Gebäude, zuerst die letzte verbliebene Synagoge der Stadt, die Choralsynagoge. Angeblich hat es vor 1940 Hundert jüdische Gebetshäuser in der Stadt gegeben, doch davon haben kaum welche die deutsche Besatzung, den Krieg und dann den Umbau der Stadt durch die Sowjets überlebt. Interessant ist die völlige Abwesenheit dieser rund 100 Gebäude in der heutigen Innenstadt, ich hätte mir die eine oder andere prominente Gedenktafel gewünscht bzw. sogar erwartet. Noch nicht einmal an der Stelle, an der früher die Grosse Synagoge gestanden hat, wird man gross darauf hingewiesen, dass hier nicht immer eine Schule war. Stattdessen wird die leer stehende Schule gerade abgerissen und man wird in Zukunft die bei Ausgrabungen gefundenen Reste des Baus zeigen. Diese Synagoge kann man also nicht mehr und noch nicht besichtigen, dafür aber die Choralsynagoge aus 1903, zumindest dann, wenn sie nicht gerade ihrem eigentlichen Zweck gemäss gebraucht wird. Um hinein und hinaus zu kommen, muss man anläuten und man muss grössere Taschen am Eingang abgeben – die üblichen Sicherheitsmassnahmen, ohne die jüdisches Leben in Europa noch immer nicht (oder schon wieder nicht mehr?) möglich zu sein scheint. Ob sich das jemals ändern wird?
Ganz im Kontrast dazu stehen die Kirchen und die Kapelle, die wir als nächste besuchen. Zuerst das letzte verbliebene Stadttor, das nur deshalb erhalten ist, weil sich im ersten Stock des Torgebäudes ein angeblich wundertätiges Marienbild befindet. Dass soetwas nicht abgerissen werden kann, da waren sich die katholischen, die orthodoxen und die unierten Gläubigen der Stadt einig. Uns fällt an den Wänden eine Unmenge an herzförmigen Votivgaben auf, die wir auch in den anderen Kirchen sehen und die es auch als Arme, Beine oder sogar Ohren gibt. Hier in der Kapelle sind die Wände fast vollständig damit bedeckt, in der orthodoxen Kathedrale, die wir kurz vor dem nächsten Regenguss erreichen, sind es hingegen nicht Silberherzen sondern Bilder und Ikonen aller Grössen, die die Wände bedecken, quasi St. Petersburger Hängung. Lange halten wir es in dieser Kirche allerdings nicht aus, denn die Luft beinhaltet nicht wie sonst üblich 21% Sauerstoff sondern mindestens so viel Weihrauch und da bin ich sehr unorthodox, ich kriege davon nämlich Kopfschmerzen. Also wieder raus und rüber zu den Katholiken in die gut gelüftete Kathedrale, die Alfred Döblin auf seiner Polen-Reise in den frühen 1920er Jahren so garnicht gefallen hat. Als “Rache an der Kirche” für die Konversion zum Christentum, die der litauische Fürst Jogaila (poln. Jagiełło) ausgeübt habe bezeichnet er sie und als “Weichselantike”, die aussieht wie ein polnisches Stadttheater. Wir sind geneigt ihm da ein klein wenig recht zugeben, nationales Wahrzeichen hin oder her.
Wie auch Alfred Döblin müssen wir uns jetzt langsam in unserem Kirchenkonsum einschränken und besichtigen stattdessen lieber mal eine Universität. Die hiesige ist ausgesprochen ansehnlich, verteilt über zahlreiche Höfe mit Arkaden und akkurat gestutztem Rasen oder sauber gekehrten Steinböden. Eine Kirche hat aber auch die Uni, schliesslich war sie ja ursprünglich als Jesuitenkolleg gegründet worden. Der Gründer war übrigens keiner der Jagiellonischen Könige, die waren zum Zeitpunkt der Gründung schon “im Mannesstamm erloschen”, wie man so schön sagt. Es war vielmehr der ehemalige Fürst von Siebenbürgen und gewählte polnische König Stephan Báthory, der sie 1579 ins Leben rief. Die dynastischen und auch sonstigen Beziehungen zwischen Litauen, Polen und Ungarn, sowie in weiterer Folge auch die mit Böhmen, Mähren und den Habsburgern wären auch einmal eine eingehende Betrachtung wert, denn wenn man genau schaut, haben sich diese uralten Beziehungen bis ins 20. und 21. Jahrhundert auf eine gewisse Art erhalten.
Für uns ist heute der letzte Abend in Vilnius, denn morgen geht es nach Kaunas und dann zurück nach Wien. Wir sind halt leider doch wärme liebende Geschöpfe und wollen unsere Kilometer lieber auf dem Fahrrad als beim Besichtigen von Kirchen machen.
Die Fotos

































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