Wenn der Regen nachlässt, sieht hier alles gleich besser aus Die sattgrüne Landschaft, über deren Strassen und Schotterwege wir uns heute bewegen, hätte das Wasser zwar nicht mehr unbedingt gebraucht, aber immerhin ist man hier noch weit entfernt von den Zuständen 2014. Damals ist die Bosna in Doboj über die Ufer getreten und hat die Stadt unter Wasser gesetzt. Habt ihr nicht mitgekriegt? Ja, wir auch nicht, wie so vieles, das im Süden und Osten Europas passiert ist und passiert.
Ziemlich untergegangen ist auch die Geschichte des Balkans im Ersten Weltkrieg. In Österreich wurde das die längste Zeit so erzählt als hätte das Attentat von Sarajewo zwar den Krieg ausgelöst, der dann aber ganz wo anders, in Belgien und Frankreich, stattgefunden hat. Der Krieg am Balkan verschwindet in der Erinnerung hinter den Schützengräben von Verdun, der Zerstörung von Ypern und Leuven, den Verfilmungen von „Im Weste nicht Neues“ und den rituell angesteckten Mohnblüten. Und weil die erzählte Geschichte immer die Geschchte der Herrschenden ist und die alte Zeit eine gute gewesen sein muss, sonst würde es ja keinen Sinn ergeben ihr nostalgisch nachzutrauern, erinnern wir die Habsburger-Monarchie oft als charmantes, etwas tappsiges Reich, dessen Völker operettenhafte komische Akzente haben und sich gegenseitig necken, der Kaiser heisst Franzl und ungarische Offiziere tragen Säbel und einen schneidigen Schnurrbart.
Woran wir nicht erinnert werden wollen – was wir vielfach garnicht wissen – ist etwas wie das Lager von Doboj, in dem in den Jahren 1915 bis 1917 über 45.000 grossteils Serb*innen inhaftiert waren, die Mehrzahl davon Zivilist*innen, von denen mehrere Tausend (es finden sich Angaben bis 12.000) wegen der katastrophalen Hygiene- und Ernährungsbedingungen im Lager den Tod fanden. Es war dies nicht das einzige Lager dieser Art und es war nicht die einzige Art und Weise, wie auf dem Balkan Militär- und Zivilpersonen unter Missachtung des damals geltenden Rechts durch k.k. Soldaten tausendfach zu Tode gebracht wurden.
Ein Denkmal für die Opfer des Lagers von Doboj befindet sich seit einigen Jahren beim Bahnhof der Stadt, der nicht nur deshalb einer der tristesten Orte ist, die wir jemals besucht haben. Halb bis ganz verfallene Kioske säumen den Bahnhofsvorplatz, es gibt 4 Zugpaare nach Banja Luka pro Tag und ein paar Züge an die innerbosnische Grenze, nach Petrovo Novo, gefahren wird mit E‑Loks aus jugoslawischer Produktion und zwei Waggons, die sogar noch Raucherabteile haben dürften. Den Versuch im Bahnhof die Toilette aufzusuchen breche ich sofort ab nachdem ich die Treppe ins Untergeschoss hinter mich gebracht habe: so ungefähr stelle ich mir einen Folterkeller vor. Oder liegt es daran, dass hier offenbar seit ewigen Zeiten niemand mehr geputzt hat?
Damit hier nicht der Eindruck entsteht, dass Doboj nur Tristesse und fürchterliche Geschichte zu bieten hat: es gibt auch einen ausgedehnten Stadtpark mit alten Bäumen und einem Partisanendenkmal, das Gebäude der Eisenbahn der Republika Srpska (ja, Bosnien hat zwei Eisenbahngesellschaften!) aus einer Zeit als in Jugoslawien gerade industrieller Aufschwung herrschte, viel Neubau, aber auch Beton, diverse Banken und Geschäfte, ein Museum, eine Bibliothek, eine Kunstgalerie im ehemaligen Theater. Der Sonntag klingt hier für uns noch ganz entspannt beim Bier auf der Terrasse aus – drinnen kann man ja nicht sitzen, da wird nämlich noch geraucht.
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