Tag 11: Vilnius & Kaunas

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Als der Erste Weltkrieg im Eisenbahnwaggon von Compiègne beendet wurde, so war dieses Kapitel der europäischen Geschichte noch lange nicht abgeschlossen. Dies gilt vor allem für den Teil Osteuropas, in dem wir uns gerade befinden. Für Polen, Litauen und die Sowjetunion hat diese Zeit des chaotischen Krieges in wechselnden Zusammensetzungen noch ein paar Jahre länger gedauert und auch westeuropäische und deutsche Truppen waren daran beteiligt. Litauen war gleich doppelt betroffen, denn einerseits hat es 1923 das Memelgebiet annektiert. Andererseits aber marschierte 1920 Polen in Vilnius ein und annektierte in der Folge wiederum diesen Teil Litauens. Ohne mich jetzt festlegen zu wollen, wer denn aufgrund welcher Rechte eher Anspruch auf Vilnius gehabt hätte (ein Minenfeld – und solche Fragen wurden in den 1920er Jahren auch etwas anders gesehen und beurteilt als heute), hatte diese Aktion Polens jedenfalls einen Effekt: Litauen stand ohne Hauptstadt da. Das war allerdings keine unbedingte Neuigkeit, denn Vilnius war in den Jahren 1919 und 1920 zwischen Polen, Litauen und der Sowjetunion umkämpft und als Hauptstadt schon aus diesem Grund nicht unbedingt geeignet. Man brauchte also Ersatz und fand ihn in Kaunas.

Kaunas war also rund 20 Jahre lang provisorische Hauptstadt Litauens und bekam als solche ein paar moderne Errungenschaften, die man heute noch im Stadtbild sieht: funktionalistische Gebäude, nationale Denkmäler, ein Kriegs- und Militärmuseum, einen Umbau der Oper, zwei damals sehr moderne Standseilbahnen und die weiss leuchtende Kirche “Christi Auferstehung” oben auf einem Hügel. Alles sehr modern und vielfach mit etwas nationalem Pathos versehen. Zusammen mit den anderen noch erhaltenen Bauwerken wie dem Rathaus, der aussen backsteingotischen und innen barocken Kathedrale, ein paar Resten aus der Hanse, der ehemals orthodoxen Erzengel-Michael-Kirche und der Lage am Zusammenfluss von Nemunas und Neris macht das schon etwas her als provisorische Hauptstadt und auch heute bei einem Rundgang durch die Stadt. Auf uns wirkt die Stadt völlig anders als Vilnius, sehr grün und luftig und sie scheint auch bei weitem nicht so beliebt bei Tourist*innen zu sein, wobei das natürlich auch dem Wochentag geschuldet sein kann, denn gestern war auch in Vilnius deutlich weniger los als am Wochenende.

Als Hauptstadt bekam man in der Zwischenkriegszeit ausser Denkmälern und repräsentativen Bauten noch etwas: es waren ein paar Diplomaten und auch Agenten in der Stadt, darunter der japanische Vize-Konsul Chiune Sugihara. Er hat hier in der Innenstadt ein Denkmal, eine eiserne Säule aus Origami-Kranichen, bekommen. Als ich die Tafel an der Wand daneben sehe, erinnere ich mich wieder an die Geschichte einer Handvoll mutiger Menschen, die es geschafft haben durch das Ausstellen von Visa Tausende jüdische Flüchtlinge vor der Verfolgung durch die Nazis zu retten: Unter Billigung der Sowjetunion wurden den Menschen vom niederländischen Konsul Jan Zwartendijk Einreisevisa in niederländische Überseekolonien ausgestellt und mit denen bekamen sie dann japanische Durchreisevisa, die Chiune Sugihara gemeinsam mit seiner Frau gegen die Weisung aus Japan ausgab. So konnte man mit der Eisenbahn nach Wladiwostok fahren und von dort nach Japan. Wieviele Menschen genau auf diese Art gerettet wurden, weiss man nicht, es waren Tausende. Als man ihn lange nach dem Krieg gefragt hat, warum er das getan habe, es war ja doch für einen offiziellen Vertreter Japans alles andere als leicht Befehle zu missachten, soll er geantwortet haben, dass er es tun musste, weil es Menschen waren, die Hilfe brauchten.

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