Wenn die Sonne scheint, sieht auch der Bahnhof von Doboj ein klein wenig weniger traurig aus, nicht aber die Skelette der alten jugoslawischen Elektroloks, die man auf der Rückseite verrosten lässt. Gleich nachdem wir sie passiert haben beginnt die Hügelei, die uns den ganzen Tag begleiten wird und gleich auf dem ersten Hügel reisst Ulrichs vorderes Schaltseil. Ist aber halb so schlimm, denn erstens war er eh gerade mit dem kleinen Kettenblatt unterwegs und zweitens haben wir Schalt- und Bremsseile in Reserve und das neue ist schnell montiert. Die Leichen hinter dem Bahnhof waren übrigens nicht die einzigen Züge, die wir heute gesehen und gehört haben. Auf der Strecke nach Petrovo Novo sind uns ein Personenzug (schwach besetzt) und ein Güterzug entgegengekommen, letzterer mit einer zweiten besetzten Lok hinten – man scheint den Bremsen nicht ganz zu vertrauen.
Solange wir die Eisenbahn neben uns haben befinden wir uns im serbischen Teil von Bosnien und Herzegowina, der „Republika Srpska“, doch noch vor dem Mittagessen verlassen wir ihn und fahren in der „Föderation Bosnien und Herzegowina“ weiter, dem bosniakisch-kroatischen Teil des Landes. Hier rüsten wir uns mit Sirnica (Käseburek) gegen den Verkehr auf der Hauptstrasse, doch gegen ein paar Wahnsinnige in 3–7 Tonnen LKW hilft die auch nicht. Wir entscheiden uns doch für die Hügelei im Hinterland und bereuen es nicht. Zum Strassenverkehr generell: wer Wien gewohnt ist, wird sich auch hier nicht fürchten, zumindest was den Fahrstil von PKW-Fahrer*innen anlangt. Auch hier überholt man gern um 50 m weiter rechts abzubiegen und auch hier gilt „je BMW oder Audi und je schwärzer das Fahrzeug, desto Obacht!“, bisher waren die Autofahrer*innen aber eh brav. Mit den Fahrern von Baustellen-LKWs und Sattelschleppern haben wir bisher ebenfalls nur gute Erfahrungen gemacht, die waren alle sehr rücksichtsvoll. Problematischer waren da heute ein paar mit Kleintransporter oder 7‑Tonnen-LKW, die gemeint haben in der Kurve(!), im Gegenverkehrsbereich(!) und bergauf(!) uns überholen zu müssen – mit den Beschleunigungswerten eines solchen Fahrzeuges wird das eher knapp!
Irgendwie schein es uns als wäre die Landschaft der zweiten Hälfte der heutigen Tour bewohnter und gepflegter als die letzten Etappen. Weniger Ruinen und ewige Rohbauten, mehr gepflegte Gärten, gerne auch mit Obst, Kletterrosen oder Wein als Schattenspender und einem Hausgarten mit Tomaten, Zwiebeln und Kartoffeln. Zumindest der Teil, den wir heute sehen, wirkt als könnte er auch irgendwo am Land in Tschechien oder Ungarn oder manchen Teilen Österreichs sein, nur ganz so viele (und so hübsche) Hühner wie hier sind uns dort bisher nicht aufgefallen. Ach ja, das Zentrum des Ortes wird gelegentlich von einem Minarett anstelle eines Kirchturms gekrönt.
Vorgestern waren wir am Samstag Abend in Banja Luka, wo es nicht nur den Karneval gab, sondern auch im Zentrum jede Menge Nachtleben. Das scheint es auch hier in Tuzla zu geben, mit einem deutlichen Schlag in Richtung Shisha-Bar in einer der Gassen, wo wir durch die Rauchschwaden waten. Auf dem Hauptplatz sitzt man bei Kaffee oder Bier unter Schirmen, im Stadtpark auf etwas zu niedrig geratenen Parkbänken wie auf Volksschulsesseln. In jedem Fall lebt das Zentrum der Stadt und das muss auch so gewesen sein als im Mai 1995 eine Artilleriegranate der bosnisch-serbischen Armee im Stadtzentrum detonierte. Tuzla wäre eigentlich UN-Schutzzone gewesen, doch der Angriff auf das Stadtzentrum forderte 71 Todesopfer und über 170 Verletzte, meist junge Leute, die das warme Wetter zum Ausgehen genutzt hatten. Ihr Denkmal ist eines, an dem heute viele stehen geblieben sind und einige auch noch Blumen abgelegt habe, zusätzlich zu dem Meer an Blumen wegen des kürzlichen Jahrestages.
Schreibe einen Kommentar